Entschließung des Bundesrates "Einführung einer Widerspruchslösung als Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme im Transplantationsgesetz (TPG)"
DIATRA-Redaktion
15. Dez. 2023 · 3 Min. Lesezeit
Dr. Ina Czyborra (SPD), Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, hat heute im Namen mehrerer Bundesländer vor dem Bundesrat zur "Einführung einer Widerspruchslösung als Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme im Transplantationsgesetz (TPG)" gesprochen. DIATRA hat die Rede transkribiert. Weitere Informationen gibt es auch hier.
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht zum ersten Mal befasst sich der Bundesrat heute mit dem Transplantationsgesetz und einer möglichen Änderung beim Thema Organspende.
Es wurde schon vieles versucht, um die Situation zu verbessern und mehr Bürgerinnen und Bürger dafür zu gewinnen, Organspender:in zu werden: Mehr Aufklärung und Transparenz, geregelte und kontrollierte Verfahren, die erweiterte Zustimmungslösung, das Organspenderegister, verschiedene Informationskampagnen – alles ohne spürbaren Effekt. In der ehrlichen Rückschau ist es nun Zeit einzugestehen, sämtliche bisherigen Versuche, die Organspendesituation zu verbessern, sind gescheitert. Immer noch rangiert Deutschland im europäischen Vergleich als Schlusslicht, immer noch herrscht ein signifikanter Organmangel, immer noch sterben Menschen, während sie auf ein Spenderorgan warten die Zahl der Organspenderinnen und Spender stagniert seit beinah zehn Jahren auf einem viel zu niedrigen Niveau, sie ist sogar rückläufig. Zur Veranschaulichung: 2022 wurden 2662 Organe gespendet, darauf gewartet haben mehr als dreimal so viele Menschen, nämlich 8826. In diesem Jahr 2023 sind bislang 8505 Patientinnen und Patienten aus Deutschland auf der Warteliste für ein Organ. Wir müssen fürchten, dass wieder zu viele von ihnen vergebens auf ein längeres und besseres Leben hoffen werden, so viel Leid auch für die Angehörigen.
Darum ist es jetzt höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel. Daher begrüßt Berlin den Vorstoß von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg für eine Widerspruchsregelung ausdrücklich. Dort, wo sie eingeführt wurde, hat sich die Widerspruchslösung bewährt. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass sie eine funktionierende Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme ist.
Deutschland gehört in der Organspende zu den Nehmerländern und leistet bei weitem nicht den Beitrag zur Organspende, den es leisten könnte und müsste. Dafür schäme ich mich ehrlich gesagt vor unseren Nachbarn. Wir alle zusammen tragen hier Verantwortung, eine Verantwortung für ein solidarisches Gesundheitssystem und Verantwortung zur Schaffung sich eignender Rahmenbedingungen. Eben diese Rahmenbedingungen sind es, die sich seit der letzten Entscheidung über die Widerspruchslösung geändert haben. Damals herrschte Unsicherheit und mangelnde Information in der Bevölkerung. Es bestanden Ängste vor ungeordneten Verfahren und Missbrauch. Das ist 2023 anders. Der Gesetzgeber hat hier seine Hausaufgaben gemacht, aber dennoch bleibt die Spendenbereitschaft gering. Inzwischen konnten auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung einer Widerspruchslösung bei entsprechender Ausgestaltung ausgeräumt werden. Die Zeit ist reif dafür, es gibt keine Alternative, um die eklatante Lücke zwischen der grundsätzlichen positiven Haltung zur Organspende in der Bevölkerung über 80% und der Nichtdokumentation des Willens von Spenderinnen zu schließen.
Viel zu oft sehen sich Angehörige zu einem hochemotionalen Zeitpunkt ihres Lebens, in dem sie einen geliebten Menschen verlieren, erstmals mit der Frage der Organspende konfrontiert und viel zu oft entscheiden sie sich dagegen, weil der Wille des potenziellen Angehörigen schlicht nicht bekannt oder dokumentiert ist. Die Widerspruchslösung schafft hier Entlastung für alle. Wenn sich nichts ändert, wenn wir heute diese Entschließung nicht verabschieden, erwarten Expert:innen auch 2024 keine Besserung.
Die Organspende ist eine Entscheidung für Verantwortung, eine Entscheidung für das Leben und für Solidarität im Gesundheitswesen. Berlin trägt diese Entscheidung mit und tritt darum dem Entschließungsantrag bei. Vielen Dank.