DIATRA-Interview mit Katrin Helling-Plahr (FDP), Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages
DIATRA-Redaktion
21. Jan. 2024 · 7 Min. Lesezeit
Cross-Over-Spende, Überkreuz-Lebendspende, Überkreuz-Spende, Cross-Over-Lebendspende, X-Over-Spende - all diese Begriffe beschreiben dasselbe: eine Organspende, an der zwei Organspenderpaare beteiligt sind. In diesem Fall kann nicht jedes Spender-Empfänger-Paar einzeln die für eine Transplantation erforderliche Übereinstimmung der medizinischen Parameter aufweisen. In dieser Situation, und wenn keine postmortale Organspende zur Verfügung steht, kann ein anderes Paar in das Matching einbezogen werden, um diese Lebendspende zu ermöglichen. In Deutschland können auf diese Weise Nieren oder Leberlappen transplantiert werden. Voraussetzung ist, dass sich beide Paare gut kennen und ihre Verbundenheit vor einer Ethikkommission glaubhaft machen können. In vielen anderen Ländern können auch mehr als nur zwei Paare in das Matching einbezogen werden. In der Schweiz sind bis zu acht Paare zugelassen.
DIATRA wandte sich an die Abgeordnete und Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages Katrin Helling-Plahr von der Freien Demokratischen Partei (FDP), um über die im Bundestag debattierte Cross-over-Spende als Vorschlag zur Verbesserung der Organspendezahlen in Deutschland zu sprechen. Die FDP-Bundestagsfraktion forderte 2018 die Streichung des Subsidiaritätsprinzips der postmortalen Organspende aus dem Transplantationsgesetz (BT-Drucksache 19/5673) und sprach sich zuletzt in ihrem Positionspapier 2023 für die Cross-Over-Spende.
Katrin Helling-Plahr: Nach meiner Kenntnis wird im Bundesministerium für Gesundheit bereits an einem entsprechenden Gesetzentwurf zur Liberalisierung der Organlebendspende gearbeitet. Basierend auf den Ankündigungen des Ministers Prof. Lauterbach erwarte ich, dass wir spätestens Anfang 2024 mit einer Vorlage rechnen können, an die sich die Befassung des Kabinetts anschließen wird.
Der Bundesminister für Gesundheit hat im vergangenen Jahr angekündigt, dem Deutschen Bundestag zeitnah einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Liberalisierung der Organlebendspende vorlegen zu wollen. Sobald dies erfolgt ist, werden wir uns im Rahmen des dann anstehenden parlamentarischen Beratungsverfahrens als Fraktion unter anderem für eine Streichung des Subsidiaritätsprinzips im Zuge des Gesetzes einsetzen. Das gilt natürlich in besonderem Maße ebenso für die Verbesserung des Zugangs zu den Möglichkeiten der Überkreuz-Spende auch in Deutschland. Gegenwärtig warten wir diesbezüglich auf das Ministerium, drängen als Fraktion aber natürlich fortwährend auf eine baldige Vorlage des Entwurfes.
Katrin Helling-Plahr: Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Befassung des Bundestages zeitnah nach erfolgtem Kabinettsbeschluss stattfindet und die parlamentarische Beratung ohne Verzögerungen stattfindet.
Katrin Helling-Plahr: Die Infrastruktur für die Lebendorganspende ist bereits vorhanden. Da es sich bei der Überkreuzlebendspende lediglich um eine Erweiterung des potentiellen Spenderkreises handelt, steht einem unmittelbaren Inkrafttreten nach Abschluss des parlamentarischen Beratungsverfahrens und der Verabschiedung des Gesetzes durch den Deutschen Bundestag aus meiner Sicht nichts im Wege.
Katrin Helling-Plahr: Was die FDP-Bundestagsfraktion angeht, so haben wir uns bereits frühzeitig gemeinsam mit dem Thema auseinandergesetzt und für eine Liberalisierung der Lebendspende ausgesprochen, unter anderem mit einem entsprechenden Antrag aus dem Jahr 2018 (BT-Drucksache 19/5673) und Positionspapier aus dem Jahr 2023 (https://img.welt.de/bin/organspende.pdf_bn-245945446.pdf). Bezüglich der Meinungsbildung in anderen Fraktionen kann ich Ihnen aufgrund mangelnder Einbindung leider keine valide Auskunft geben.
Katrin Helling-Plahr: Grundsätzlich ist es aus meiner Sicht Teil der Eigenverantwortung eines und einer jeden Abgeordneten, sich über das Thema vollumfänglich zu informieren, ob durch entsprechende Veranstaltungen des Bundestages, außerparlamentarische Veranstaltungen und Fachliteratur sowie – und diese möchte ich besonders hervorheben – Gespräche mit Transplantationsmedizinern und Betroffenen.
Katrin Helling-Plahr: Ich möchte der Sichtweise, dass die Organ-Lebendspende einen Tropfen auf den heißen Stein darstellt, deutlich entgegentreten. Wenn auch nur einem Menschen das Leben dadurch gerettet werden kann, dass der Staat es Menschen nicht mehr verbietet, sich gegenseitig aus altruistischen Gründen zu helfen, ist schon sehr viel gewonnen. Es geht bei der Liberalisierung der Lebendspende letztendlich darum, dass Menschen, die ja grundsätzlich ein von einem Lebendspender gespendetes Organ bekommen könnten, hierzulande nicht weiterhin auf den Wartelisten verharren und mit anderen Wartenden um verfügbare postmortal gespendete Organe konkurrieren müssen. Jede Lebendspende hilft hier.
Katrin Helling-Plahr: Die Infrastruktur für die Durchführung von Lebendspenden gibt es in Deutschland bereits. Es ist wichtig, zu betonen, dass Überkreuz-Lebendspenden auch in Deutschland schon durchgeführt werden. Dafür muss aktuell aber noch viel Aufwand durch ehrenamtlich tätige Menschen betrieben werden, um biologisch zueinander passende Paare zu finden und das seitens des Transplantationsgesetzes geforderte Näheverhältnis schnellstmöglich herzustellen. Das Online-Register kann nach erfolgter Legalisierung der Überkreuz-Lebendspende beim dann anonymen „Matchmaking“ zwischen Paaren einen enormen organisatorischen Mehrwert bieten. Als FDP-Fraktion drängen wir nicht nur deshalb seit langem darauf, dass es zügig an den Start geht. Anfang 2024 soll es endlich soweit sein. Es hätte deutlich schneller gehen müssen.
Katrin Helling-Plahr: Die postmortale Organspende und die Lebendorganspende tangieren grundlegend verschiedene Dimensionen des Selbstbestimmungsrechts. Bei der Lebendspende geht es darum, altruistischen und aufgeklärten Menschen, die zum Beispiel eine Niere spenden wollen, nicht mehr ohne triftige Gründe Steine in den Weg zu legen, ihnen also zu ermöglichen, ihr Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Die Frage der Widerspruchslösung bei postmortalen Spenden ist davon gänzlich getrennt zu betrachten, da diese von staatlicher Seite erheblich in das Selbstbestimmungsrecht eingreift. Aufgrund der damit verbundenen ethischen Dimension und hochindividuellen Bewertung durch jedes einzelne Mitglied des Deutschen Bundestages halte ich die fraktionsübergreifende Befassung abgekoppelt von einer Fraktionspositionierung in diesem Fall nach wie vor für richtig. Da der Deutsche Bundestag die Frage der Widerspruchslösung unlängst behandelt und darüber klar entschieden hat, hielte ich eine erneute Befassung damit jetzt nicht für zielführend. Man mag die Entscheidung für richtig oder falsch halten. Statt ein klares demokratisches Votum immer wieder aufs Neue infrage zu stellen, ist es aus meiner Sicht aber sachdienlicher, schnellstmöglich noch nicht beleuchtete Möglichkeiten in den Blick zu nehmen.
Katrin Helling-Plahr: Selbstverständlich ist das Ziel, dass die Zahl der postmortal gespendeten Organe jene der benötigten erreicht, sodass Lebendspenden obsolet werden. An diesem Punkt sind wir aber nicht und zur Frage der Widerspruchslösung habe ich mich ja bereits verhalten. Dass mit einer Lebendspende für den Spender auch Risiken einhergehen, steht außer Frage und macht eine vollumfängliche Aufklärung darüber selbstredend zur absoluten Voraussetzung für den Eingriff. Gleichwohl bin ich der Überzeugung, dass – sofern ein medizinisch in Frage kommender Spender dieses Risiko bereit ist einzugehen – es nicht Aufgabe des Staates ist, ihn gegen seinen Willen daran zu hindern.