Editorial zu DIATRA 3-2024
Dennis M Stamm
10. Sept. 2024 · 3 Min. Lesezeit
Weder ich noch jemand aus meinem familiären Umfeld stehen auf der Eurotransplant-Warteliste für ein Spenderorgan. Und ich kann sagen: Zum Glück! Aber natürlich kommen wir durch unsere Arbeit bei DIATRA mit vielen Menschen in Kontakt, die dieses Glück nicht haben. Sie sind erfüllt von der Hoffnung und der Erwartung, eines Tages ein lebensrettendes Organ zu erhalten. Und diese Hoffnung und Erwartung werden in der Regel weitaus länger auf die Probe gestellt als in vielen anderen Ländern – vor allem in denen, wo es die Widerspruchsregelung gibt.
Was mich nervt, oft auch ärgert, ist das scheinbar „ewige Rumgeeiere“ in unserer Gesundheitspolitik, aber auch bei manchen einflussreichen Organisationen und Akteuren, ohne dass man endlich zu einem Ziel kommt.
Ich bin der Meinung: Genug geredet, genug geflickschustert. Es ist Zeit für Ergebnisse und eine Lösung, die den unzähligen Menschen auf der Warteliste einen wirklich realistischen Grund zur Hoffnung geben. Und bitte: Schluss mit Placebo-Vorschlägen!
„Was über alle Diskussionen hinweg aber nicht vergessen werden darf, ist die Tatsache, dass in Ländern, mit denen wir uns gerne vergleichen, in Relation zur jeweiligen Bevölkerung mithilfe von Organtransplantationen zwei- bis dreimal so viele Menschenleben gerettet werden können wie in Deutschland“, schreibt Professor Bernhard Banas aus unserem Medizinischen Beirat in seinem Beitrag „Die Verteilung postmortaler Spendernieren: Wirklich so gut und gerecht wie möglich?“ in dieser Ausgabe (DIATRA 3-2024, S. 14-18). Allein vor diesem Hintergrund sollten wir in Deutschland in Bezug auf die Organspende zutiefst beschämt sein.
Manche Politiker:innen, Akteure und selbsternannte Patientenvertreter versuchen die Widerspruchsregelung ethisch aufzuladen. Natürlich ist die Widerspruchsregelung auch eine ethische Frage – aber nicht so, wie sie von diesen Personen dargestellt wird. Ethisch wird es nämlich dann, wenn man – rein objektiv betrachtet – die Organspende in Deutschland so beschreibt, wie sie tatsächlich ist: Es gibt zu wenig Spenderorgane für zu viele bedürftige Menschen, also müssen Regeln her, die festlegen, wer ein Organ bekommt und wer nicht. Und da die bestehenden Regeln nicht zu mehr Organen führen, muss man – auf die Spitze getrieben – von Triage bei der Organspende in Deutschland sprechen, solange Menschen auf der Warteliste sterben müssen.
Und zu der Behauptung, man könne niemanden „nötigen“, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, kann ich nur fragen: Ist es ethisch vertretbar, diese Entscheidung allein den Angehörigen am Sterbebett zu überlassen? Diese sollen dann raten, wie der Verstorbene zur Organspende gestanden hat? Sie sollen die Entscheidung treffen, weil der Verstorbene zu Lebzeiten seine persönliche Freiheit, selbst zu entscheiden, was mit seinen Organen nach seinem Tod geschehen soll, nicht wahrgenommen hat?
Glücklicherweise werden Organe nicht per Los vergeben, aber die Regeln für die Zuteilung von Spenderorganen sind nicht optimal. Unabhängig davon würden aber auch bessere Allokationsregeln nicht zu mehr Organen führen. Es braucht also eine Lösung, damit man eine größere Chance auf eine lebensrettende Transplantation hat als auf einen Sechser im Lotto. Und diese Lösung gibt es ja bereits – eben aber nicht in Deutschland.
Herzlichst, Euer/Ihr
Dennis M Stamm