Adelheid Liebendörfer
19. Sept. 2024 · 6 Min. Lesezeit
Mit 2 einfachen Tests aus Blut- und Urinproben könnte eine chronische Nierenkrankheit (CKD) frühzeitig erkannt werden. Dies gewinnt zunehmend an Bedeutung, da seit Kurzem mehrere neue Medikamente das Fortschreiten der CKD wirksam aufhalten können. Die derzeitigen Check-up-Untersuchungen in Deutschland erfassen diese Parameter jedoch nur unzureichend oder gar nicht. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass selbst bei Vorliegen von Hochrisikofaktoren für eine CKD – wie etwa ein Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck – häufig keine Bestimmung der Albuminausscheidung im Urin und der sogenannten geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) im Blut erfolgt1.
In Deutschland leiden mehr als 10 Millionen Menschen an CKD. Dabei handelt es sich um eine schwere und irreversible Erkrankung, die zu einem fortschreitenden Verlust der Nierenfunktion führt. Im Endstadium sind die Betroffenen auf eine regelmäßige Blutreinigung durch Dialyse oder eine Nierentransplantation angewiesen. Darüber hinaus steigt mit abnehmender Nierenfunktion das kardiovaskuläre Risiko stark an, also die Wahrscheinlichkeit, etwa einen Herzinfarkt zu erleiden2. Diabetes mellitus und Bluthochdruck sind gleichzeitig die Hauptauslöser für eine CKD. Viele Betroffene wissen jedoch nichts von ihrer Erkrankung, auch weil bis zu 90 Prozent des Nierenfunktionsverlustes ohne Symptome verlaufen können. Gleichzeitig ist die CKD trotz bekannter Risikofaktoren oft dramatisch unterdiagnostiziert, eine leitliniengerechte Labordiagnostik wird in deutschen Hausarztpraxen nicht ausreichend durchgeführt. Dies belegt die jetzt veröffentlichte InspeCKD-Studie1.
„Das ist tragisch, denn seit einigen Jahren stehen endlich wirksame Medikamente zur Verfügung, mit denen wir das Fortschreiten der CKD vor allem auch in frühen Stadien verzögern oder sogar stoppen können“, sagt Professorin Dr. Julia Weinmann-Menke, Sprecherin der DGfN und Direktorin der Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) am Universitätsklinikum Mainz. „Dazu müssen wir die CKD aber rechtzeitig diagnostizieren.“
Mit den SGLT-2-Hemmern für alle Menschen mit CKD, den nicht-steroidalen Mineralkortikoid-Rezeptor-Antagonisten für Diabetikerinnen und Diabetiker mit CKD und mit der bevorstehenden Zulassung der GLP-1-Rezeptor-Agonisten für CKD bei Typ-2-Diabetes stehen erstmals Therapieoptionen zur Verfügung, die den Nierenfunktionsverlust verlangsamen3,4,5,6. „Mit diesen Behandlungen kann auch die Prognose der Betroffenen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbessert werden“, sagt Weinmann-Menke. Denn beide Erkrankungen hängen zusammen.
Zur Diagnose einer CKD reicht die Kombination eines einfachen Bluttests mit einem Urintest, bei dem die eGFR und die Proteinwerte im Urin bestimmt werden. Die eGFR kann aus dem Kreatininwert im Blut einfach rechnerisch ermittelt, „geschätzt/estimated“ werden. Doch die Nephrologin betont: „Durch den Nachweis von Albumin im Urin ist es möglich, die Diagnose einer CKD viel früher zu stellen als durch die alleinige Betrachtung der eGFR, denn es ist häufig das erste Anzeichen für eine Schädigung der Nierengefäße.“
Neben einer Vielzahl internationaler Studien zeigte zuletzt die InspeCKD-Studie auch für Deutschland: Nur bei 45,5 Prozent der Risikopatientinnen und -patienten wurde der eGFR-Wert in der Hausarztpraxis bestimmt. Eine Albuminbestimmung mit Teststreifen erhielten sogar nur 7,9 Prozent der Patientinnen und Patienten und die UACR (quantitative Bestimmung der Albuminausscheidung im Urin) wurde nur bei 0,4 Prozent der Betroffenen bestimmt.
Für die routinemäßige Früherkennung bei Nicht-Risikogruppen können spezielle Urinteststreifen als Screening eingesetzt werden. Präziser ist jedoch der sogenannte Albumin-Kreatinin-Quotient (UACR = Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio). Er errechnet sich aus der Albumin- und der Kreatininmenge im Urin.
Wer sollte nun auf CKD untersucht werden? In der zuletzt aktualisierten internationalen Leitlinie KDIGO ist nun die Empfehlung enthalten, bestimmte Risikopersonen auf eine Nierenerkrankung zu untersuchen7. „Dazu gehören vor allem Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, bekannte Nierenkrankheiten in der Familie, vorausgegangene Nierenschädigung“, so Weinmann-Menke.
Die Aufnahme von Nierenerkrankungen in das Gesundes-Herz-Gesetz (GHG) wäre ein entscheidender Schritt, um die Früherkennung zu verbessern, Herzinfarkte und Schlaganfälle zu reduzieren und langfristig die Gesundheitskosten zu senken", sagt Weinmann-Menke. Bisher sind die Nieren im GHG jedoch nicht berücksichtigt, obwohl die DGfN über Stellungnahmen, Teilnahme an der Anhörung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und mediale Beiträge intensiv auf das kritische Fehlen der CKD im GHG hingewiesen hat. Und die Nephrologin geht noch einen Schritt weiter: „Da wir nicht genug betonen können, wie wichtig die Früherkennung von CKD ist, plädieren wir für ein grundsätzliches Screening im Rahmen der von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlten Gesundheitsuntersuchungen ab dem 35. Lebensjahr.“
Eine Prognose zur Entwicklung der häufigsten Todesursachen aus dem Jahr 2018 zeigt, dass CKD zwischen 2016 und 2040 von der 16. auf die 5. häufigste Todesursache vorrücken könnte8. „Wenn es gelingt, regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen einzuführen, die Patientinnen und Patienten über ein Disease-Management-Programm (DMP) zu begleiten und die medikamentösen Optionen zu nutzen, ist davon auszugehen, dass es in Zukunft weniger Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener CKD und damit weniger Dialysen, Bluthochdruck, Schlaganfälle und weniger Herzinfarkte geben wird“, sagt Dr. med. Nicole Helmbold, Generalsekretärin der DGfN. Weitere und genauere Daten darüber, wie und in welchem Ausmaß Maßnahmen zur Erkennung, Risikostratifizierung und Behandlung von CKD die gesundheitlichen Ergebnisse verbessern würde, könne ein Deutsches Zentrum für Nierengesundheit erheben, so Helmbold weiter. „Auch deshalb setzen wir uns für seine Gründung ein.“