Transplantation
Organspende

Leben mit Spenderherz: Was denken Transplantierte über den Organspender?

Michael Wichert, Pierre König

20. Jan. 2025 · 6 Min. Lesezeit

DIATRA 1-2025
Spenderperson- und Organgedanken können psychische Stressreaktionen bei Patient:innen hervorrufen – mit gravierenden Folgen. Das Phänomen untersuchen mit Förderhilfe der Herzstiftung Forschende aus Medizin, Psychologie und Public Health des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum.
Enorm ist die Kluft zwischen verfügbaren Spenderherzen und der Zahl schwerkranker Patient:innen auf den Wartelisten für ein neues Herz: 2023 standen in Deutschland 1.094 Menschen auf der Warteliste nur 330 Herztransplantationen gegenüber. Man möchte meinen: Wer ein neues Herz transplantiert bekommt, hat doch das Schwerste bereits überstanden. „Das ist auch der Fall. Allerdings stehen auch transplantierte Patienten nach überstandenem Eingriff vor einer Reihe möglicher Probleme“, erklärt der Herzchirurg und Transplantationsmediziner Prof. Dr. Jan Gummert, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. „Neben ersten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der medikamentösen Therapie durch Immunsuppressiva gegen Abstoßungsreaktionen des Körpers auf das Spenderorgan, können auch andere körperliche wie auch psychische Leiden hinzukommen, die medizinische Hilfe erfordern. Diese können erst im Zuge der Transplantation entstehen oder noch aus der Phase vor dem Eingriff herrühren“, so Gummert.

Forschung: Was trägt dazu bei, dass ein Spenderorgan akzeptiert wird?

Welche Faktoren tragen dazu bei, dass ein transplantiertes Herz von der Person, die das Organ empfangen hat, angenommen und von ihr „integriert“ wird? Und welche konkreten körperlichen und psychischen Stressoren lassen sich identifizieren? Fragen wie dieser gehen Mediziner:innen, Psycholog:innen und eine Public Health-Expertin am Herz- und Diabeteszen­trum NRW, Bad Oeynhausen (HDZ NRW) und der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL in einer von der Deutschen Herzstiftung und der Deutschen Stiftung für Herzforschung mit 47.600 Euro geförderten Forschungsarbeit nach. Einblicke in ihre Arbeit geben die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „HERZ heute“ 4/2024 und in einem neuen Forschungs-Video 

Genauer in den Fokus ihrer gemeinsamen Forschung nehmen die Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken (SPOG). Das Forschungsvorhaben „Spendergedanken und Herz­transplantation (SpHer)“ wird durch­geführt von Dr. Nora M. Laskowski und dem leitenden Arzt Prof. Dr. Georgios Paslakis, beide an der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum – Campus OWL tätig, sowie von Dr. Katharina Tigges-Limmer, Leiterin der medizinpsychologischen Abteilung der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie im HDZ NRW, Bad Oeynhausen.

Organabstoßungsangst, Depression, posttraumatische Belastungsstörung

Die psychischen Leiden bei herztransplantierten Patient:innen können sehr verschieden sein.  Sie leiden häufig unter der Angst, dass das Organ abgestoßen werden könnte. Manche haben bereits aufgrund ihrer Grunderkrankung, in der Zeit vor der Transplantation, während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus und auf der Intensivstation große Belastungen erlebt und entwickeln infolgedessen eine Depression. „In noch ausgeprägteren Fällen kann es sein, dass die Konfrontation und Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – was bei schwer herzkranken Menschen häufig der Fall ist – zu einer ,posttraumatischen Belastungsstörung‘ führt“, berichtet Prof. Paslakis in Zeitschrift „HERZ heute“ der Herzstiftung. Das erfordere eine spezielle Behandlung, so der Mediziner. Studien zufolge kann eine Depression sogar das Ergebnis der Herztransplantation negativ beeinflussen.

Spenderperson- und Organ­gedanken: Wann Qual, wann Kraftquelle?

Ein emotionaler Spagat kann für Betroffene auf der Warteliste für ein Spenderherz oder nach überstandener Transplantation das Nachdenken über den Organspender sein.  Das kann so belastend sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt – schlimmstenfalls lehnen Empfänger:innen das übertragene Organ sogar ab. Es sind Gedanken über das Geschlecht und das Alter des Spenders, über die Umstände seines Todes oder seine Persönlichkeit, über die Familiengeschichte, den Beruf, die Religion und gar die sexuelle Orientierung der Spenderperson.
„Das Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken haben wir wissenschaftlich untersucht. Vorab stellten wir fest, dass es zu diesem Thema sehr wenig Studien gibt“, erklärt Dr. Katharina Tigges-Limmer. Das klinische Phänomen der Spenderperson- und Organgedanken könne sowohl vor als auch nach einer Transplantation aufkeimen und noch lange danach weiter bestehen bleiben. „Unklar war bislang auch, ob derartige Gedanken für die Patientinnen und Patienten eine emotionale Belastung sind – oder ob sie ihnen auch Kraft geben können und den Umgang mit dem Transplantationsprozess erleichtern“, so Dr. Tigges-Limmer. Auf das transplantierte Herz würden auch häufig vermeintlich wahrgenommene Veränderungen des Charakters und der Persönlichkeit zurückgeführt. „Manchmal können diese Gedanken durchaus beglückend sein. Dann wird das Herz als Geschenk erlebt und dem ,Schenker‘ gegenüber entwickelt sich eine dankbare Verbundenheit.“ Manchmal können Spenderperson- und Organgedanken aber so belastend für Patient:innen und für ihre Angehörigen sein, dass es zu psychischen Stressreaktionen kommt. „Das wollen wir in einer künftigen Studie genauer untersuchen“, erklärt Dr. Tigges-Limmer. Wie Betroffene quälenden Gedanken Paroli bieten können, erläutern die Wissenschaftler im „HERZ heute“-Beitrag.

Fast jede:r Herztransplantierte hat Spenderperson- und Organgedanken

Welche Patient:innen entwickeln diese Gedanken, zu welchem Zeitpunkt tauchen diese Gedanken mit welchen Inhalten und Überzeugungen auf? Und als wie belastend oder bereichernd werden die Gedanken empfunden? Für neue Erkenntnisse durch mehr belastbare Daten zu diesem Thema haben die Mediziner und Psychologen des HDZ NRW, Bad Oeynhausen und der Ruhr-Universität Bochum mit Förderhilfe der Deutschen Herzstiftung anonym 407 Herztransplantierte am HDZ NRW befragt. „Wir waren sehr überrascht, wie viele Menschen diese Gedanken überhaupt haben. Vor der Transplantation waren es etwa 40 % der Befragten. Danach aber 91 %. Also fast jeder hat diese Gedanken nach der Transplantation“, berichtet die Humanbiologin und Public Health-Expertin Dr. Laskowski im Herzstiftungs-Video (s.o.). Betroffene gaben an, sehr erleichtert zu sein, die OP geschafft zu haben und gegenüber der Spenderin/dem Spender eine große Dankbarkeit zu spüren. „Gleichzeitig ist für einige Patienten ein diffuses Schuldgefühl dabei, nämlich: ,Ich darf leben, während jemand anders sterben musste‘“, beschreibt Psychologin Dr. Tigges-Limmer einen häufigen Gedanken bei Herztransplantierten. „Gleichzeitig heißt es aber auch, es stirbt niemand für mich, aber mein neues Glück fußt auf dem Tod, so könnte man es sagen.“

Kliniken bieten Hilfen für Betroffene

Für Betroffene mit Bedarf für professionelle Hilfe gibt es deutsch­landweit in allen Transplantations­zentren psychologische und psychosomatische Dienste, die Patient:innen im schwierigen Prozess der Transplantation begleiten. Aber nicht alle von ihnen würden diese Hilfe auch in Anspruch nehmen. In einigen Fällen würden die Therapeut:innen auch aktiv Betroffene aufsuchen, wenn die Behandlungsteams den Eindruck hätten, dass Menschen unterstützt werden müssten – professionelle Hilfe aber von sich aus nicht einforderten, berichtet Dr. Tigges-Limmer. „Das Ziel muss es sein, die Schwelle der Inanspruchnahme niedrig zu halten. Psychotherapeutische Unterstützung für Menschen vor, während und nach einer Transplantation sei „kein Luxus“, sondern „eine Notwendigkeit, die als selbstverständlich anzusehen ist“, betont die Psychologin. „Doch immer noch hindert das Stigma, das mit der Psychotherapie verbunden ist, Menschen daran, diese Hilfe für sich einzufordern.“ Auch sei eine Refinanzierung dieser notwendigen Arbeit noch nicht gesichert.