Hintergrund zur öffentlichen Anhörung „Änderung des Transplantationsgesetzes“ (Update)
DIATRA-Redaktion
22. Jan. 2025 · 10 Min. Lesezeit
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Am 29. Januar 2025 führt der Ausschuss für Gesundheit eine öffentliche Anhörung zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“ im Deutschen Bundestag durch. Im Mittelpunkt stehen zwei Gesetzentwürfe: „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes - Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz“ (BT-Drucksache: 20/13804) und vom Bundesrat der „Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes und Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz" (BT-Drucksache: 20/12609).
Das Popcorn steht hoffentlich schon bereit: Eine lebhafte und kontroverse Debatte über das Für und Wider der Widerspruchslösung steht bevor. Gegner warnen davor, dass die Widerspruchslösung das Prinzip der informierten Zustimmung gefährden könnte und fordern mehr Aufklärung. Befürworter hingegen sehen in der Widerspruchslösung eine Möglichkeit, die Zahl der Organspenden zu erhöhen und Leben zu retten, wie es in vielen europäischen Ländern bereits erfolgreich praktiziert wird.
DIATRA hat die Positionen der zur Anhörung geladenen Sachverständigen etwas genauer unter die Lupe genommen:
Prof. Dr. Steffen Augsberg (Rechtswissenschaftler und Professor für öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen)
Position: Prof. Augsberg plädiert für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Organspende und betont die Bedeutung der informierten Zustimmung der Spender. Er sieht die Widerspruchslösung als problematisch an, da sie das Prinzip der freiwilligen Zustimmung untergraben könnte.
Wichtige Punkte:
Widerspruchslösung könnte den Paradigmenwechsel zur unbedingten Zustimmung bei Organspenden fördern.
Auseinandersetzung mit Verteilungsgerechtigkeit im Organtransplantationswesen.
Prof. Dr. Bernhard Banas (Direktor der Abteilung für Nephrologie und des Universitären Transplantationszentrums am Universitätsklinikum Regensburg - UKR)
Position: Prof. Dr. Bernhard Banas unterstützt die Einführung einer Widerspruchslösung für die Organspende. Er betont, dass eine solche Regelung das Grundprinzip einer Gesellschaft widerspiegelt, die durch Organspende Leben retten möchte. Nach seiner Ansicht sollte eine postmortale Organspende der Normalfall sein, wobei ein Widerspruch gegen die Organentnahme jederzeit möglich und ohne Einschränkung akzeptiert wird.
Wichtige Punkte:
Widerspruchslösung als Standard in vielen europäischen Ländern, mit positiven Auswirkungen auf Organspenden.
Sie könnte dazu beitragen, Leben zu retten und die Organspendezahlen zu erhöhen.
Unterstützung für die erneute Debatte im Bundestag zur Widerspruchslösung.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Prof. Dr. Peter Dabrock (deutscher evangelischer Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Universität Erlangen)
Position: Prof. Dr. Dabrock plädiert für eine verstärkte Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung sowie für strukturelle Verbesserungen im Organspendesystem, anstatt eine Widerspruchslösung einzuführen.
Wichtige Punkte:
Keine nachweisbare Verbindung zwischen Widerspruchslösung und erhöhten Organspenden.
Die Organspendequote ist bereits hoch, das Problem liegt nicht in der Spendebereitschaft.
Widerspruchslösung könnte das Vertrauen in das Gesundheitssystem gefährden.
Befürwortet Aufklärung und strukturelle Verbesserungen im Organspendesystem.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt (Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Internistische Intensivmedizin an der Charité in Berlin)
Position: Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt spricht sich für die Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende aus. Er betont, dass Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme der Welt habe, jedoch die Organspenderate niedriger sei als in vielen anderen entwickelten Ländern. Obwohl die Zustimmung zur Organspende in der Bevölkerung hoch sei, setze sich dies nicht in entsprechenden Spenderzahlen um. Die Einführung der Widerspruchsregelung könnte dazu beitragen, die Zahl der Organspenden zu erhöhen und somit vielen Patienten das Leben zu retten.
Wichtige Punkte:
Widerspruchslösung könnte die Organspenderate in Deutschland steigern, um mehr Leben zu retten.
Trotz hoher Zustimmung zur Organspende in der Bevölkerung bleibt die Zahl der Spenden hinter den Erwartungen.
Dr. Anne Gidion (evangelisch-lutherische Theologin, Pastorin und Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland)
Position: Ob Dr. Anne Gidion persönlich zur Widerspruchslösung Stellung genommen hat, konnte die DIATRA-Redaktion nicht ermitteln. Aufgrund ihrer theologischen und ethischen Expertise ist jedoch davon auszugehen, dass sie sich intensiv mit den moralischen und ethischen Implikationen der Organspende auseinandersetzt.
Wichtige Punkte:
Thematisiert das Spannungsfeld zwischen Leben und Tod im Kontext der Organspende.
Prof. Dr. Winfried Hardinghaus (Palliativmediziner, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologe, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbandes - DHPV)
Position: Prof. Dr. Winfried Hardinghaus hat sich wiederholt gegen die Einführung einer Widerspruchsregelung bei Organspenden ausgesprochen. Der DHPV plädiert für eine informierte Entscheidung und eine hospizliche Perspektive im Umgang mit lebenslimitierend erkrankten Menschen, die als Organspender in Betracht kommen
Wichtige Punkte:
Widerspruchslösung könnte zu moralischem Zwang führen.
Befürwortet informierte Entscheidungen und respektvolle Auseinandersetzung mit den Wünschen der Patienten und deren Angehörigen.
Prof. Dr. Ralph Hertwig (Psychologe, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung)
Position: Prof. Dr. Ralph Hertwig hat sich kritisch zur Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende geäußert. Er betont, dass die bloße Umstellung auf eine Opt-out-Regelung die Organspenderaten nicht signifikant erhöht. Stattdessen plädiert er für ein "System der verpflichtenden Entscheidung", bei dem Bürger aktiv ihre Zustimmung oder Ablehnung zur Organspende erklären müssen, beispielsweise bei der Beantragung eines Personalausweises oder Führerscheins
Wichtige Punkte:
Befürwortet ein verpflichtendes System, bei dem Bürger aktiv ihre Zustimmung oder Ablehnung erklären müssen.
Warnt vor psychologischen Tricks und betont die Bedeutung von Aufklärung.
Prof. Dr. Josef Franz Lindner (Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg)
Position: Prof. Dr. Josef Franz Lindner befürwortet die Widerspruchslösung im Organspenderecht und sieht deren Einführung als verfassungskonform und ethisch vertretbar an.
Wichtige Punkte:
Sie könnte die Zahl der Organspenden erhöhen, ohne das Selbstbestimmungsrecht zu verletzen.
Die Widerspruchslösung wird in vielen europäischen Ländern erfolgreich angewandt.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Ulla Schmidt (SPD, ehemalige Bundesgesundheitsministerin 2001-2009)
Position: Ulla Schmidt hat sich wiederholt gegen die Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende ausgesprochen. Sie betont, dass die Organspende freiwillig bleiben sollte und lehnt die automatische Annahme einer Organspende ohne ausdrücklichen Widerspruch ab. Stattdessen plädiert sie für die Verbesserung der Rahmenbedingungen in den Entnahmekrankenhäusern, um die Organspendequote zu erhöhen.
Wichtige Punkte:
Befürwortet Aufklärung und die Verbesserung der Entnahmekrankenhäuser.
Gegen eine gesetzliche Regelung, die die Organspende ohne ausdrücklichen Widerspruch ermöglicht.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Priv.-Doz. Dr. Kevin Schulte (Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor an der Medizinischen Klinik IV des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein)
Position: Priv.-Doz. Dr. Kevin Schulte betrachtet die Widerspruchslösung als einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Organspende in Deutschland, betont jedoch auch die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, um die Organspendezahlen nachhaltig zu erhöhen.
Wichtige Punkte:
Sie könnte die Zahl der Organspender erhöhen, was entscheidend für die Versorgung von Patienten auf Wartelisten ist.
Betont auch die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen, wie eine bessere Erkennung potenzieller Organspender.
Ulrike Sommer (Autorin, hat eine Niere von ihrem Ehemann erhalten)
Position: Ulrike Sommer, die selbst eine Niere von ihrem Ehemann, dem ehemaligen DGB-Vorsitzenden Michael Sommer, erhalten hat, äußerte sich kritisch gegenüber der Widerspruchslösung bei Organspenden. Sie betont, dass die Gesellschaft nicht für die Entscheidung des Einzelnen verantwortlich gemacht werden sollte und dass die Einführung einer Widerspruchslösung einen moralischen Zwang zur Organspende darstellen würde.
Wichtige Punkte:
Sie ist gegen die Widerspruchslösung, da sie einen moralischen Zwang zur Organspende darstellen würde.
Selina Schulze Spüntrup (Wissenschaftlerin am ifo Institut)
Position: Selina Schulze Spüntrup hat sich intensiv mit der Organspende und der Widerspruchslösung beschäftigt. In ihren Studien analysiert sie die Auswirkungen der Widerspruchslösung auf die Organspenderraten, insbesondere unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus Wales. Ihre Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Einführung einer Widerspruchslösung zu einer signifikanten Steigerung der Organspenden führen kann.
Prof. Dr. Claudia Wiesemann (Ärztin, Medizinethikerin, Medizinhistorikerin und Hochschullehrerin)
Position: Prof. Dr. Claudia Wiesemann hat sich kritisch zur Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende geäußert. Sie bezeichnete die Widerspruchslösung als eine "moralische Bankrotterklärung" und kritisierte, dass sie die Gesellschaft als "faule Egoisten" darstelle. Sie plädiert daher für eine verstärkte Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung, um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen.
Wichtige Punkte:
Bezeichnet die Widerspruchslösung als "moralische Bankrotterklärung".
Kritisiert, dass sie die Gesellschaft als "faule Egoisten" darstelle und die Verantwortung auf die Gesellschaft abwälze.
Betont, dass die Einführung einer Widerspruchslösung die eigentlichen ethischen Konflikte nicht löse.
Plädiert für eine verstärkte Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung, um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Position: Die Bundesärztekammer (BÄK) unterstützt die Widerspruchsregelung bei der Organspende, da die gegenwärtige Entscheidungslösung gescheitert sei und Leid bei den Wartenden verursache. Sie verweist auf den Erfolg der Regelung in vielen europäischen Ländern, die zu höheren Spenderzahlen führe. Auch die Ärztekammer Berlin fordert diese Regelung, um die Organspende in Deutschland zu erhöhen. Ziel ist es, die Zahl der Spenden zu erhöhen und das Leid der Wartenden zu lindern.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Position: Das Bündnis ProTransplant fordert die Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende, da die derzeitige Zustimmungsregelung zu niedrigen Spenderzahlen und zum Tod vieler Patient:innen auf der Warteliste führe. Es verweist auf den Erfolg der Regelung in vielen europäischen Ländern. ProTransplant plant eine Verfassungsbeschwerde und kritisiert die aktuelle Situation bei der Organspende. Ziel ist es, die Zahl der Organspender:innen zu erhöhen und das Leid der Wartenden zu lindern.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Position: Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sieht in der Widerspruchsregelung einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Organspende, betont aber, dass sie mit weiteren Reformen und Aufklärungsmaßnahmen verbunden werden muss. Sie weist darauf hin, dass häufig die fehlende Zustimmung der Angehörigen den Organspendeprozess stoppt und fordert die Bevölkerung auf, eine eigene Entscheidung zur Organspende zu treffen. Die DSO befürwortet auch das digitale Organspenderegister, räumt aber ein, dass es bisher nur eingeschränkt genutzt wird. Ziel ist eine nachhaltige Verbesserung der Organspende durch eine Kombination aus Regelungen und Kulturwandel.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Position: Eurotransplant hat sich bisher nicht speziell zur Widerspruchsregelung in Deutschland geäußert. Es ist jedoch bekannt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedsländern mit dieser Regelung niedrigere Organspenderaten aufweist. Deutschland profitiert von höheren Spenderzahlen in den Nachbarländern, erhält aber mehr Organe, als es selbst spenden kann. Die Einführung der Widerspruchsregelung könnte die Spenderaten in Deutschland erhöhen und das Gleichgewicht im Eurotransplant-Verbund verbessern.
Position: Der Verein Junge Helden e.V. fordert die Einführung der Widerspruchsregelung bei der Organspende in Deutschland, da diese die Spenderate erhöhen könnte. Die Jungen Helden betonen, dass die Regelung nur mit entsprechenden gesetzlichen Anpassungen wirksam ist und fordern eine Gesetzesänderung. In einer Stellungnahme an den Bundestag 2019 betonte der Verein, dass die Organspende auch bei einer Widerspruchsregelung freiwillig bleibt, aber das "Recht auf Leben" der Betroffenen stärker gewichtet wird.
Weitere Quellen:
Stellungnahme für die öffentliche Anhörung beim Bundestag am 29. Januar 2025 zum Thema „Änderung des Transplantationsgesetzes“.