Gesundheitspolitik
Organspende

Nach der Anhörung: Kontroverse um die Widerspruchslösung bleibt unverändert

DIATRA-Redaktion

30. Jan. 2025 · 5 Min. Lesezeit

Die geplante Einführung der Widerspruchslösung bei der Organspende, die von einer fraktionsübergreifenden Gruppe um die Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD), Armin Grau (Grüne), Jens Spahn (CDU) und Petra Sitte (Linke) vorangetrieben wird, bleibt weiterhin umstritten. Trotz einer öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses am 29. Januar 2025 sind die Chancen auf eine Verabschiedung in dieser Legislaturperiode gering. Angesichts der knappen Zeit bis zum 23. Februar und der uneinheitlichen Positionen im Parlament scheint eine gesetzliche Neuregelung unwahrscheinlich. Die Anhörung verdeutlichte die bestehende Kontroverse unter Fachleuten aus Medizin, Ethik und Recht.

Status quo und Reformvorschlag

Derzeit gilt in Deutschland die Zustimmungsregelung: Eine Organentnahme ist nur möglich, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten eingewilligt hat oder deren Angehörige nach Feststellung des Hirntods zustimmen. Der Gesetzentwurf (20/13804) sieht hingegen vor, dass grundsätzlich jede Person als Organspender:in gilt, es sei denn, sie hat zu Lebzeiten explizit widersprochen. Ziel der Widerspruchsregelung ist es, die Anzahl der Organspenden deutlich zu erhöhen.

Dringender Bedarf an Spenderorganen

Axel Rahmel, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) verdeutlichte den dringenden Handlungsbedarf: Ende 2024 warteten rund 8.300 schwer kranke Patient:innen auf eine Organspende, darunter 6.397 Menschen, die auf eine Niere angewiesen sind. Die Zahl der Organspender:innen blieb jedoch mit 953 im Jahr 2024 nahezu unverändert im Vergleich zum Vorjahr (965). Deutschland liegt damit im internationalen Vergleich im unteren Drittel und erhält mehr Organe aus dem Eurotransplant-Verbund, als es selbst bereitstellt. Rahmel sprach sich daher für die Einführung der Widerspruchslösung aus und verwies darauf, dass Deutschland im europäischen Vergleich eine Ausnahme sei: In den meisten Ländern ist die Widerspruchsregelung bereits etabliert.
Der Transplantationsmediziner Bernhard Banas vom Universitätsklinikum Regensburg (und Mitglied im Medizinischen Beirat des DIATRA-Verlags) betonte, dass die Hoffnung, die Organspendenrate allein durch organisatorische Verbesserungen in Krankenhäusern wesentlich zu steigern, nicht erfüllt worden sei. Trotz mehrfacher Gesetzesänderungen seien die gewünschten Fortschritte ausgeblieben.
Auch Zazie Knepper vom Bündnis ProTransplant, ein Zusammenschluss von Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen, unterstrich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Neuregelung. Weder die 2019 eingeführten Strukturmaßnahmen noch das 2020 verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft hätten zu einer spürbaren Erhöhung der Organspendenzahlen geführt. In der aktuellen Situation könne niemand darauf vertrauen, innerhalb einer angemessenen Zeit ein lebensrettendes Spenderorgan zu erhalten. Daher müsse das Recht der Wartepatient:innen auf Leben stärker in den Mittelpunkt der Debatte rücken. Sie schilderte eindrücklich die schwierige Lage der Betroffenen. Sie betonte, dass die tatsächliche Zahl der Menschen, die auf ein Organ angewiesen seien, noch weit höher liege, als die Wartelisten vermuten ließen – viele seien aus unterschiedlichsten Gründen nicht transplantabel. Oft dauere das Warten auf ein Organ viele Jahre, und das damit verbundene Leid sei kaum in Worte zu fassen. Die andauernden theoretischen Debatten erlebten viele Betroffene als zermürbend. Die Widerspruchsregelung könne eine wichtige Grundlage für eine dringend benötigte Veränderung sein.

Befürwortung und Kritik

Die Bundesärztekammer (BÄK) befürwortet die Widerspruchslösung und argumentiert, sie könne einen „echten Mentalitätswandel in der Bevölkerung“ bewirken und die Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen Spendebereitschaft und der tatsächlichen Zahl der Organspenden verringern, ohne die individuelle Entscheidungsfreiheit einzuschränken.
Jedoch gibt es auch ethische und verfassungsrechtliche Bedenken. Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie und ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, lehnt die Widerspruchslösung ab: „Schweigen kann keine Zustimmung bedeuten.“ Er sieht die Gefahr, dass das Prinzip der freiwilligen Spende untergraben wird, was zu einer ablehnenden Haltung in der Bevölkerung führen könnte.
Die Medizinethikerin Claudia Wiesemann zweifelt an einem signifikanten Anstieg der Organspendezahlen durch die Widerspruchsregelung. Das Hauptproblem sei nicht die Spendebereitschaft der Bevölkerung, sondern die unzureichende Meldung potenzieller Organspender:innen durch die Krankenhäuser.

Verfassungsrechtliche Einschätzungen

Auch unter Juristen gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Steffen Augsberg, Verfassungsrechtler der Universität Gießen, sieht die Widerspruchsregelung kritisch, da sie das Selbstbestimmungsrecht der Bürger:innen beeinträchtigen könnte. Die Verpflichtung, sich aktiv mit der eigenen Spendebereitschaft auseinanderzusetzen, werfe grundrechtliche Bedenken auf.
Josef Franz Lindner, Verfassungsrechtler der Universität Augsburg, widerspricht dieser Ansicht. Er hält die Widerspruchsregelung für verfassungskonform. Vielmehr sei der Staat verpflichtet, ein „effektives Organtransplantationssystem“ sicherzustellen. Die „eklatante Mangelsituation an Spenderorganen“ stelle sogar einen Verstoß gegen die staatliche Schutzpflicht dar. Angesichts des gravierenden Organmangels sei die Neuregelung ein angemessenes Mittel.
Kommentar

Während Befürworter:innen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Änderung betonen, um mehr Organspenden zu ermöglichen, bestehen Kritiker:innen auf der Wahrung der Selbstbestimmung. Auffällig war, dass Verständnisfragen zur Hirntoddiagnostik gestellt wurden, obwohl diese seit langer Zeit gesetzlich als eine der Voraussetzungen der Organspende der Öffentlichkeit und der Politik bekannt sein sollten. Einige Fragen erweckten den Eindruck, dass vorher kein Faktencheck durchgeführt wurde oder dass sachlich keine gründliche Vorbereitung stattgefunden hat. Bei manchen Fragen war nicht klar, ob diese nicht einfach nur gestellt wurden, um mit Informationen auf falscher Sachgrundlage für Verunsicherung zu sorgen.
Einige Fragen zeigten die Tendenz einer ablehnenden Haltung der Widerspruchsregelung gegenüber. Die Anhörung ließ leider keinen Raum für Richtigstellungen. Dass die Anhörung einen Tag nach der Deadline für Abstimmungen in der aktuellen Legislaturperiode berufen wurde, bedeutet, dass der überparteiliche Antrag auf die Änderung des Transplantationsgesetztes erstmal nicht zu der Einführung der Widerspruchsregelung in der Organspende führen wird. Ob und in welcher Form die kommende Regierung sich des Themas annehmen wird, bleibt abzuwarten.