Faktencheck und Kommentar zur Kleinen Anfrage der AfD „Umsetzung des Transplantationsgesetzes“
Dennis M Stamm
18. März 2025 · 6 Min. Lesezeit
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Am 10. März 2025 stellte die AfD-Fraktion im Bundestag in einer Kleinen Anfrage zahlreiche (42 an der Zahl) kritische Fragen zur Organspende und zur Umsetzung des Transplantationsgesetzes. Insbesondere geht es um die geplante Widerspruchsregelung, das Hirntodkonzept und die staatliche Aufklärung der Bevölkerung. Hier einige Punkte etwas näher beleuchtet:
Die AfD fragt, ob die Widerspruchsregelung nachweislich zu mehr Organspenden führt.
Hierfür zitiert die AfD für ihre Zweifel gleich mehrere Quellen, die keine wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern, dafür aber im Bereich der Verschwörungsmärchen beheimatet sind, namentlich die Initiative Kritische Aufklärung zur Organtransplantation (KAO) und eine Ausgabe der Zeitschrift „Praxis Palliative Care“ (Heft 65, 2024). Beide Quellen zeichnen sich aus, dass sie durch journalistische wie auch wissenschaftliche Sorgfalt vermissen lassen und ein stattdessen falsches bzw. verzerrtes Bild der tatsächlichen Sachlage der Organspende für ihre Zwecke einsetzen. Folglich behauptet die AfD, es gäbe keine wissenschaftlichen Belege, dass eine Widerspruchsregelung die Organspendezahlen erhöht (s. die kritische Auseinandersetzung der Ausgabe von „Praxis Palliative Care“ im Organspende-Wiki).
Tatsache ist: Länder mit Widerspruchsregelung haben im Durchschnitt höhere Organspenderaten als Länder mit Zustimmungslösung.
Spanien, das seit 1979 eine Widerspruchsregelung hat, ist seit vielen Jahren weltweit führend in der Organspende, 2024 erreichte Spanien eine Quote von 52,6 Spender:innen pro Million Einwohner. (DIATRA professional, Vol. 1/2025, S. 48f. und Ministerio de Sanidad „España, con más de 6.400 trasplantes, supera sus previsiones en 2024“ vom 16. Januar 2025)
Studien zeigen, dass die Widerspruchsregelung allein nicht ausschlaggebend ist, sondern auch Krankenhausstrukturen, Transplantationskoordination und gesellschaftliche Akzeptanz eine Rolle spielen. (ifo Dresden „Widerspruchslösung sorgte in Wales für deutlich mehr Organspenden“ vom 2. Januar 2025)
Die AfD fragt: Ist der „Spender“ wirklich tot bzw. ist der „Hirntod“ ein sicheres Todeszeichen?
Tatsache ist: Medizinisch gilt der irreversible Hirnfunktionsausfall als sicheres Todeszeichen. Für die postmortale Organspende ist in Deutschland die Feststellung des Hirntods zwingende Voraussetzung. Diese wird durch das Transplantationsgesetz (TPG) sowie spezifische Richtlinien der Bundesärztekammer (BÄK) geregelt. (Bundesärztekammer „Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA), 5. Fortschreibung“ in: Deutsches Ärzteblatt vom 8. Juli 2022, PDF)
Der Deutsche Ethikrat erkennt in seiner Stellungnahme vom 24. Februar 2015 an, dass es ethische Debatten darüber gibt, ob ein Mensch ohne Hirnfunktion, aber mit funktionierendem Kreislauf, noch als lebendig betrachtet werden kann. Die Mehrheit des Ethikrates war der Auffassung, dass der Hirntod ein sicheres Todeszeichen ist und die Spende lebenswichtiger Organe nur zulässig sein darf, wenn der Tod des möglichen Organspenders festgestellt ist (Dead-Donor-Rule). (Deutscher Ethikrat, Stellungnahme „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“, PDF)
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) definiert den Hirntod als den irreversiblen Ausfall aller Funktionen des Gehirns, einschließlich des Hirnstamms. Der Hirntod wird durch standardisierte neurologische Tests diagnostiziert, die die irreversible Funktionslosigkeit des Gehirns nachweisen. Die DGN stellt klar, dass der Verlust der Gehirnfunktion den Tod markiert, selbst wenn der Kreislauf weiterhin künstlich aufrechterhalten werden kann.(DGN, DGNC und DGNI: „Stellungnahme zur Feststellung des Hirntodes vor Organentnahmen“ vom 5. März 2014, ergänzt am 21. März 2014, PDF, Alternativlink)
Die AfD fragte, ob die Bevölkerung unzureichend über Organspenden aufgeklärt wurde?
Die AfD geht davon aus, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) – seit 1.1.2025 unter dem Namen Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) – informiere die Bevölkerung nicht neutral über Organspenden und ließe kritische Stimmen zum Hirntod außen vor.
Tatsache ist: Das BIÖG (früher BZgA) informiert umfassend über die Organspende und stellt Organspendeausweise sowie Infomaterial zur Verfügung. Dennoch wird von manchen bemängelt, alternative Sichtweisen, insbesondere ethische und philosophische Einwände gegen das Hirntod-Kriterium, würden nicht ausreichend dargestellt werden.
Eine bundesweite Repräsentativbefragung unter 4.001 Personen zwischen 14 und 75 Jahren im Zeitraum von April bis Mai 2024 ergab, dass sich 39 % der Befragten über die Organspende „gut informiert“, 57 % „mäßig informiert“ und 4 % „schlecht informiert“ einstufen. (BZgA-Info-Blatt „Bundesweite Repräsentativbefragung 2024 - Erste Studienergebnisse“, PDF)
Liegt die AfD richtig mit ihrer Annahme, die Widerspruchsregelung würde einer „Entrechtung der Bürger“ gleichkommen, weil diese „automatisch“ zum Spender würden?
Analyse: Die politische (oder eher populistische?) Intention hinter dieser Kleinen Anfrage
Die AfD-Fraktion nutzt die Kleine Anfrage gezielt, um Zweifel an der Organspende und an staatlichen Institutionen zu schüren. Ganz in der Tradition der Initiative Kritische Aufklärung zur Organtransplantation (KAO) u.a. nutzt sie strategisch Zweifel an wissenschaftlichen und staatlichen Institutionen. Auf wissenschaftsskeptische und populistisch-diskreditierende Weise wird Verunsicherung erzeugt – dabei lassen sich in ihrer Argumentation klare Muster erkennen:
Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen
Die Kleine Anfrage stellt die Neutralität des Bundesinstituts für öffentliche Gesundheit (BIÖG, ehemals BZgA) in Frage und kritisiert das Bundesgesundheitsministerium für eine mangelnde Kontrolle der Transplantationsrichtlinien. Anmerkung. Dies entspricht der allgemeinen AfD-Rhetorik, staatliche Institutionen als bevormundend oder intransparent darzustellen.
Mit der Hervorhebung von „Schmerzreizen“ bei der Hirntoddiagnostik und der Frage, ob eine hirntote Schwangere wirklich tot sei, wird gezielt auf Emotionen gesetzt. Solche Darstellungen sollen Ängste auslösen und Zweifel an der Ethik der Organspende verstärken.
Narrativ der Freiheitsberaubung
Die Widerspruchsregelung wird als „Entrechtung“ der Bürger dargestellt – ein gängiges Motiv in der AfD-Rhetorik, das suggeriert, dass staatliche Eingriffe grundlegende Freiheitsrechte bedrohen.
Ablehnung wissenschaftlicher Konsense
Viele Fragen der Anfrage stellen etablierte medizinische Definitionen in Frage. Hier zeigen sich Parallelen zu anderen Themenfeldern, in denen die AfD wissenschaftliche Erkenntnisse anzweifelt, wie z.B. beim Klimawandel oder bei Impfungen.
Fazit
Während einige der Fragen berechtigte Kritikpunkte zur Transparenz und Ethik der Organspende berühren, ist die Anfrage insgesamt stark politisch motiviert. Wortwahl und Fragestellung deuten darauf hin, dass es nicht in erster Linie um sachliche Aufklärung geht, sondern um das Schüren von Misstrauen gegenüber der Organspendepraxis und staatlichen Institutionen.
Mit dieser Überschrift feierte der AfD-Abgeordnete Martin Sichert sich und seinen Redebeitrag bei der 1. Lesung im Bundestag am 5. Dezember 2024 zur möglichen Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende