Organspende
Gesundheitspolitik

Lebendorganspendereform erklärt & kommentiert

Dennis M Stamm

15. Juli 2025 · 4 Min. Lesezeit

DIATRA 3-2025

In Deutschland gibt es zu wenig Spenderorgane, vor allem Nieren. Viele Menschen warten jahrelang auf eine Transplantation, was für die Betroffenen schwere gesundheitliche Folgen hat. Daher will das Bundesgesundheitsministerium die Regeln für Lebendorganspenden modernisieren und erweitern. Bisher durften nur Menschen, die in einer sehr engen persönlichen Beziehung zueinander stehen (z. B. enge Familienangehörige), eine Niere oder einen Teil der Leber spenden. Außerdem war eine solche Spende nur erlaubt, wenn kein postmortal (nach dem Tod) gespendetes Organ zur Verfügung stand. Diese Einschränkungen werden nun teilweise aufgehoben.

Was soll sich konkret ändern?

1. Mehr Spendenmöglichkeiten: Erweiterung des Spender- und Empfängerkreises
Bisher durften nur enge Angehörige wie Eltern, Kinder, Ehepartner oder Lebenspartner eine Niere oder ein anderes nicht-regenerierbares Organ (z. B. Leberteil) spenden. Diese enge Bindung war gesetzlich vorgeschrieben, um Missbrauch wie Organhandel zu verhindern.

Neu:

  • Der Gesetzentwurf erlaubt auch Spenden außerhalb dieses engen sozialen Umfelds.
  • Zudem wird erstmals in Deutschland die „nicht gerichtete anonyme Spende“ eingeführt: Eine Person kann freiwillig eine Niere spenden, ohne zu wissen, wer diese erhalten wird. Der Empfänger bleibt anonym.

Ziel: Mehr Menschen sollen die Chance auf eine Transplantation bekommen – auch wenn sie keinen nahestehenden Spender haben.

 
2. Einführung eines Programms für die „Überkreuzlebendnierenspende“
Oft passen Spender und Empfänger innerhalb eines Paares immunologisch nicht zusammen (z. B. Blutgruppe oder Antikörper). In anderen Ländern gibt es dafür sogenannte „Cross-Donation“-Programme.

Neu:

  • In Deutschland soll ein staatlich organisiertes Austauschprogramm („Überkreuzspende“) geschaffen werden.
  • Zwei oder mehr Paare, die jeweils inkompatibel sind, können ihre Spender „tauschen“.
    • Beispiel: Spender A kann nicht an Empfänger A spenden, aber passt zu Empfänger B – und umgekehrt.
  • Auch anonyme Spenden (siehe Punkt 1) können in diesen Tausch eingebunden werden, um Ketten von Transplantationen zu ermöglichen.

Ziel: Bessere Chancen für schwer zu vermittelnde Patienten – besonders für solche mit seltenen Blutgruppen oder vielen Antikörpern.

 
3. Wegfall des „Subsidiaritätsprinzips“ – Vorrang der postmortalen Spende entfällt
Bisher galt: Eine Lebendorganspende darf nur durchgeführt werden, wenn kein passendes Organ von einer verstorbenen Person zur Verfügung steht (sog. Subsidiaritätsprinzip).

Neu:

  • Diese Einschränkung wird aufgehoben.
  • Damit sind künftig „präemptive“ Transplantationen möglich – also vor Beginn einer Dialyse. Dies ist medizinisch oft günstiger, weil es den Gesundheitszustand des Patienten schont.

Ziel: Medizinisch sinnvollere und zeitgerechtere Transplantationen, weniger Leid durch Dialyse, bessere Langzeitergebnisse.

 
4. Verbesserter Schutz für Spenderinnen und Spender
Lebendorganspenden sind freiwillig – aber sie bringen körperliche und seelische Risiken mit sich. Daher wird der Spenderschutz deutlich ausgebaut.

Neu eingeführt oder erweitert:

  • Psychosoziale Beratung: Spender müssen verpflichtend durch unabhängige Fachleute (Psychologen o. ä.) beraten und evaluiert werden.
  • Begleitperson: Eine sogenannte „Lebendspendebegleitperson“ unterstützt und berät die Spender während des gesamten Prozesses – vor, während und nach der Spende.
  • Umfassende Aufklärungspflichten: Ärzte müssen verständlich über alle Risiken, Folgen, Alternativen und den gesamten Ablauf informieren.
  • Dokumentationspflichten: Der gesamte Prozess wird lückenlos dokumentiert, auch zum Schutz vor unlauteren Einflüssen oder Druck.

Ziel: Die Entscheidung zur Organspende soll informiert, frei und ohne Druck getroffen werden.

 
5. Verbesserter Zugang zu Erklärungen zur Gewebe- und Organspende
Der Zugriff auf das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende wird verbessert:

Neu:

  • Auch Gewebeeinrichtungen (z. B. für Augenhornhaut oder Hauttransplantationen) sollen künftig direkt prüfen können, ob eine verstorbene Person zu Lebzeiten eine Zustimmung zur Spende gegeben hat.
  • Bislang war das nur Krankenhäusern bei Organspenden erlaubt.

Ziel: Mehr Klarheit und Effizienz bei der Umsetzung von Gewebe- und Organspenden im Todesfall.

 
6. Vereinheitlichung und Vereinfachung der Verfahren bei Lebendspenden
Neu geregelt:

  • Lebendspendekommissionen, die jede Spende prüfen (z. B. auf Freiwilligkeit), bekommen klarere gesetzliche Vorgaben:
    • Einheitliche Anforderungen an Dokumente, Anhörungen und Entscheidungsprozesse.
    • Standardisierte Verfahren zur Begutachtung.

Ziel: Rechtssicherheit und bundeseinheitliche Standards, damit Verfahren transparenter und effizienter ablaufen – und Betroffene besser geschützt sind.

Kritische Anmerkungen des Verfassers

Der Referentenentwurf bringt zwar vielversprechende Verbesserungen – insbesondere durch erweiterte Spenderkreise, Überkreuzspenden und anonyme Spenden – doch diese Regelungen bleiben zielgerichtet auf ein zentrales Problem fokussiert: die anhaltende Organknappheit.

  • Nach dem aktuellen DSO-Jahresbericht wurden insgesamt 688 transplantierte Organe aus Lebendspenden realisiert (davon 632 Nieren).
  • Im Vergleich dazu standen Ende 2024 6.397 als transplantabel gemeldete Menschen auf der Warteliste für eine Niere, insgesamt (d.h. alle Organe zusammen) gab es 8.575 wartende Menschen (Bemerkung: Eurotransplant meldete 8.269 Menschen).

Die Diskrepanz zwischen Bedarf und tatsächlichen Transplantationen bleibt also dramatisch hoch.

Lebendspenden als Notlösung, nicht Allheilmittel

Auch wenn Lebendspenden bessere transplantologische Erfolgsaussichten bieten, dürfen sie nicht als Ersatz für eine funktionierende postmortale Organspende verstanden werden. Die Rechtsreform zielt vor allem darauf ab, Wartelistenplätze zu retten, nicht um ethische Komfortoptionen zu schaffen.

Gesellschaftliche Verantwortung bleibt unberührt

Effizientere Verfahren und erweiterte Spenderkreise gehen an den gesellschaftlichen Grundproblemen vorbei: Nur ein Bruchteil der potenziellen Organspenden (postmortal oder lebend) wird tatsächlich realisiert bzw. genutzt – sei es wegen mangelnder Beratung, fehlender Aufklärung oder kultureller Hemmschwellen.

Download

Drittes Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Novellierung der Regelungen zur Lebendorganspende und weitere Änderungen - Referentenentwurf (PDF, barrierefrei, 1 MB)​​​​​​​