Gesundheitspolitik
Nephrologie

US-Nierenpolitik unter Trump 2.0

Dennis M Stamm

22. Juli 2025 · 8 Min. Lesezeit

In seiner zweiten Amtszeit treibt US-Präsident Donald J. Trump mit neuem Elan den Umbau der US-Gesundheitslandschaft voran. Besonders im Bereich der Nierenmedizin zeigt sich ein Widerspruch: Während Innovationen gefördert und Ziele für Prävention und Transplantation formuliert werden, geraten vulnerable Gruppen durch Sparmaßnahmen und ökonomische Steuerungsinstrumente zunehmend unter Druck. Organisationen wie die National Kidney Foundation (NKF) und die American Association of Kidney Patients (AAKP) schlagen Alarm – und werfen der Regierung vor, ökonomischen Gewinn über patientenzentrierte Versorgung zu stellen.

Alte Ziele – neue Brüche: Die „Kidney Health“-Agenda

Bereits 2019 hatte Trump mit der Executive Order „Advancing American Kidney Health“ (AAKH) ehrgeizige Reformziele definiert: Die Zahl neuer Patient:innen mit terminaler Nierenerkrankung (End-Stage Renal Disease - ESRD) sollte bis 2030 um 25 % reduziert, 80 % der ESRD-Betroffenen bis 2025 entweder transplantiert oder zuhause dialysiert werden, und die Zahl transplantierter Nieren sollte bis 2030 verdoppelt werden. Schätzungen zufolge leben derzeit rund 808.000 Menschen in den USA mit ESRD (United States Renal Data System - USRDS: 2023 Annual Data Report); etwa 37 Millionen erwachsende US-Bürger:innen leiden insgesamt an chronischer Nierenerkrankung (CKD) (NKF Statement on Key Healthcare Policies to Help Kidney Patients).

Medicaid unter Druck: Reform mit Risiko

Mit dem im Juli 2025 verabschiedeten neuen Gesundheitsgesetz im sogenannten „One Big Beautiful Bill“ wurden zentrale Finanzierungsinstrumente der öffentlichen Gesundheitsversorgung tiefgreifend umgestaltet. Besonders betroffen ist das Medicaid-Programm, das bislang für etwa ein Drittel der ESRD-Patient:innen – also knapp 270.000 Menschen – eine tragende Rolle spielt. Künftig sollen Medicaid-Beziehende monatlich mindestens 80 Stunden Erwerbsarbeit oder ehrenamtliche Tätigkeit nachweisen. Zudem wird eine Eigenbeteiligung von 35 US-Dollar pro Dialysebehandlung eingeführt – was sich je nach Behandlungsfrequenz auf bis zu 5.000 US-Dollar pro Jahr summieren kann. Gleichzeitig wurden bundesstaatliche Steuerzuschüsse für Medicaid-Anbieter von 6 auf 3,5 % gesenkt.

Die Congressional Budget Office (CBO) warnt, dass bis 2034 über 10 Millionen US-Amerikaner:innen ihre Krankenversicherung verlieren könnten – viele davon aus prekären oder ländlichen Verhältnissen.

Patientenorganisationen schlagen Alarm

Die National Kidney Foundation (NKF) kritisierte das Gesetz als „den größten Rückschritt für Nierenpatient:innen seit Jahrzehnten“. Ähnlich äußerte sich die Interessenvertretung Dialysis Patient Citizens (DPC): Zwar begrüße man technische Innovationen wie die Förderung von Heimdialyse, jedoch dürften wirtschaftliche Anreizsysteme nicht dazu führen, dass Menschen gegen ihren Willen aus stationären Einrichtungen gedrängt würden. „Shared decision-making muss Vorrang haben“, so ein Sprecher der DPC.

Forschung im Rückzug: Kürzungen bei NIH und FDA

Auch der wissenschaftliche Sektor steht unter Druck. Die Trump-Regierung kündigte deutliche Kürzungen bei den National Institutes of Health (NIH) und der Food and Drug Administration (FDA) an. Je nach Haushaltsposten sollen Mittel um bis zu 17 % reduziert werden – betroffen sind unter anderem Forschungsprogramme des National Institute of Diabetes and Digestive and Kidney Diseases (NIDDK), Studien zur künstlichen Niere, zur Xenotransplantation sowie Projekte zur Optimierung von Spenderdatenbanken. FDA-Expert:innen befürchten zudem Zulassungsverzögerungen bei neuen Dialysegeräten und Biotechnologien – was auch private Anbieter vor Herausforderungen stellt.

ETC und BETTER: Steuerung durch Anreize

Ein zentrales Instrument der Reformpolitik ist das „End-Stage Renal Disease Treatment Choices Model“ (ETC), das bereits 2021 unter Trumps erster Amtszeit eingeführt wurde. Hierbei erhalten Dialyseeinrichtungen Bonuszahlungen, wenn sie hohe Raten an Heimdialyse oder erfolgreichen Transplantationen vorweisen können. Doch auch hier zeigt sich ein Risiko der ökonomischen Steuerung: Kleinere Einrichtungen, die weniger flexibel sind oder Patient:innen mit höherem Betreuungsaufwand versorgen, drohen durch das Bonusmodell benachteiligt zu werden.

Im Rahmen des „BETTER Kidney Care Act“ sollen Behandlungspfade, Pflegekoordination, Ernährungstherapie und psychosoziale Betreuung enger miteinander verzahnt werden. Kritische Stimmen warnen jedoch vor einem schleichenden Rückzug des Staates aus der direkten Verantwortung: Immer mehr Versorgung wird durch private Anbieter übernommen, während unabhängige nephrologische Einrichtungen und soziale Träger wirtschaftlich unter Druck geraten. Die American Association of Kidney Patients (AAKP) formulierte es deutlich: „Ein gesundheitspolitisches System, das chronische Krankheiten wie einen Markt behandelt, verliert den Menschen aus dem Blick.“

Transplantation: Fortschritt mit Ungleichheit

Auch in der Transplantationspolitik sind Reformen spürbar – aber nicht immer gerecht. Der bis 2022 gültige „eGFR-Korrekturfaktor“, der bei schwarzen Patient:innen einen vermeintlich höheren Muskelanteil annahm und so fälschlicherweise bessere Nierenfunktionsergebnisse anzeigte, führte zu deutlich späterer Aufnahme auf Wartelisten. Zwar wurde die Praxis abgeschafft, doch die Auswirkungen bleiben sichtbar. Mehrere Sammelklagen gegen das für Organvergabe zuständige United Network for Organ Sharing (UNOS) sind anhängig. Aktivist:innen sprechen von „systemischer Diskriminierung im Transplantationswesen“.

Finanzielle Anreize statt Aufklärung

Besonders kontrovers bleibt die Rolle ökonomischer Anreizsysteme für Spender:innen. Während Deutschland mit dem „Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende“ (2020) auf freiwillige Aufklärung und Spendenbereitschaft setzt, dominieren in den USA monetäre Modelle. Lebendspender:innen erhalten Zuschüsse für Verdienstausfall, Reisen, Kinderbetreuung und Pflege; künftig sind Steuererleichterungen, Medicare-Boni oder gar Rentenvorteile geplant. Auch Organ Procurement Organizations (OPOs) werden leistungsbasiert finanziert – etwa nach Zahl vermittelter Organe.

Deutschland wählt einen anderen Weg

In Deutschland hingegen wurde im Juli 2025 ein Referentenentwurf zur Reform der Lebendorganspende vorgestellt. Er sieht zwar eine Ausweitung des Lohnersatzes, bessere psychologische Begleitung und unabhängige Aufklärung vor – betont aber ausdrücklich, dass wirtschaftliche Anreize nicht mit dem deutschen Transplantationsrecht und der ärztlichen Ethik vereinbar seien. Die Diskrepanz zwischen US-amerikanischem Marktmodell und europäisch geprägter Spendenethik könnte künftig auch zu divergierenden Organflüssen und internationalen Spannungen führen.

Globale Spannungen durch unterschiedliche Spendenethiken

Die divergierenden Ansätze in den USA und Europa sind nicht nur ethische Fragen, sondern könnten potenziell zu internationalen Spannungen führen. Die ökonomisch orientierten US-Modelle mit direkten und indirekten Anreizen für Spender:innen sowie der leistungsbasierten Finanzierung von Organvermittlung könnten dazu führen, dass Menschen aus wirtschaftlich schwächeren Ländern vermehrt als Spender:innen in die USA oder andere Länder mit ähnlichen Systemen drängen. Dies fördert Spendetourismus und setzt andere Länder unter Druck, vergleichbare ökonomische Anreize einzuführen.

Zudem besteht die Sorge, dass transplantationsbezogene Matching-Algorithmen in einigen Systemen verstärkt auf Effizienz und Kosten statt auf Gleichberechtigung ausgerichtet sein könnten, was privilegierte Patientengruppen bevorzugen würde. In der Praxis folgen solche Algorithmen derzeit jedoch vor allem medizinischen Kriterien. Dennoch könnte dies in Zukunft den Effekt haben, dass Patient:innen aus Ländern mit strengeren ethischen Vorgaben (z.B. Deutschland oder auch andere europäische Staaten) vermehrt ins Ausland ausweichen, um schneller transplantiert zu werden.

Darüber hinaus steht die internationale Zusammenarbeit im Organtransplantationsbereich vor Herausforderungen, da US-Modelle die etablierten Prinzipien der Unentgeltlichkeit und freiwilligen Aufklärung, wie sie etwa in der Declaration of Istanbul festgeschrieben sind, unterlaufen könnten. Multilaterale Vereinbarungen zur Bekämpfung von Organhandel könnten dadurch an Wirkung verlieren.

Während Spendetourismus und unterschiedliche ethische Ansätze bereits heute Herausforderungen darstellen, ist eine vollständige Fragmentierung der internationalen Transplantationslandschaft eine mögliche, aber bislang nicht eingetretene Entwicklung. Dennoch sollten internationale Akteure die potenziellen Risiken divergierender Anreizsysteme und ethischer Standards frühzeitig adressieren, um die globale Zusammenarbeit zu stärken und Gerechtigkeit zu wahren. Diese Entwicklungen bergen weitreichende Konsequenzen für Vertrauen, Gerechtigkeit und Gesundheitspolitik weltweit.

Dieser Abschnitt ist daher auch als Warnung zu verstehen – vor einer Zukunft, in der ethische Differenzen die solidarische Zusammenarbeit im Kampf gegen chronische Nierenerkrankungen und Organmangel nachhaltig beeinträchtigen könnten.

Wissenschaftlich fragwürdiger MAHA-Report

Der im Juni 2025 vom US-Gesundheitsministerium veröffentlichte MAHA-Bericht (PDF) hat für Diskussionen gesorgt, da er neue Ansätze zur Prävention chronischer Nierenerkrankungen (CKD) vorstellt. Einige Fachleute kritisieren jedoch, dass der Bericht teilweise auf Quellen basiert, deren wissenschaftliche Validität nicht ausreichend belegt ist.

Es wird betont, wie wichtig eine evidenzbasierte Herangehensweise bei der Entwicklung von Präventionsmaßnahmen ist, um die Wirksamkeit klinischer Empfehlungen sicherzustellen und Verwirrung in der Öffentlichkeit zu vermeiden.

Offizielle Stellungnahmen von US-amerikanischen Fachorganisationen unterstreichen die Bedeutung rigoroser wissenschaftlicher Prüfung bei neuen Gesundheitsrichtlinien.

So heißt es im Statement der National Kidney Foundation (NKF) vom 1. Juli 2025: „Diese Änderungen mögen auf dem Papier Geld sparen, aber in Wirklichkeit werden sie zu schlechteren Ergebnissen, mehr Leid und höheren langfristigen Kosten für die Steuerzahler und das Gesundheitssystem führen. Die National Kidney Foundation fordert den Kongress auf, diese schädlichen Bestimmungen abzulehnen und stattdessen eine Politik zu fördern, die eine nachhaltige und gerechte Nierenversorgung unterstützt.“

Fazit: Fortschritt, der spaltet

Die zweite Amtszeit Trumps bringt der US-Nierenmedizin zweifellos technische Innovationen, bessere Versorgungsmodelle und wachsendes politisches Gewicht. Doch gleichzeitig geraten Forschung, Ethik und Zugangsgleichheit unter Druck. Patient:innen mit niedrigem Einkommen, schlechter Versicherung oder sozialer Benachteiligung drohen auf der Strecke zu bleiben. Im Vergleich dazu zeigt sich Deutschland zwar reformwillig, aber ethisch vorsichtiger – ein Modell, das im Licht der Entwicklungen jenseits des Atlantiks an Aktualität gewinnt.

Verwendete Quellen

Anmerkung der Redaktion:
Die Recherche zu diesem Beitrag erwies sich in Teilen als äußerst anspruchsvoll. Mehrere relevante Quellen waren über die offiziellen Webseiten der zuständigen Behörden nicht (mehr?) abrufbar. Erst über archivierte Versionen in Suchmaschinen-Caches konnten einzelne Dokumente nachvollzogen werden. Dies verdeutlicht aktuell strukturelle Schwächen in der digitalen Zugänglichkeit und Dokumentation gesundheitspolitischer Veröffentlichungen.