Organspende
Fakten-Check

Vom Klima zur Organspende: Wie Falschinformationen wirken

Dennis M Stamm

17. Sept. 2025 · 5 Min. Lesezeit

Eine aktuelle psychologische Studie zeigt, wie Falschinformationen beim Thema Klimawandel wirken: Sie lassen die Einigkeit der Wissenschaft kleiner erscheinen, als sie tatsächlich ist. Dieser scheinbar kleine Zweifel löst eine ganze Kette von Folgen aus – er schwächt Überzeugungen, verändert Gefühle und senkt letztlich die Bereitschaft, zu handeln.

Das Modell, das diese Mechanismen beschreibt, heißt „Gateway (mis)Belief Model“. Spannend ist die Frage: Was passiert, wenn man dieses Modell auf ein ganz anderes Feld überträgt – die Organspende? Auf den ersten Blick sind Klima und Organspende sehr verschieden. Aber wenn man genauer hinschaut, zeigen sich erstaunliche Parallelen.

Konsens – oder das, was davon übrig bleibt

Menschen orientieren sich stark daran, ob „die Fachwelt“ sich einig ist. Wenn man hört, dass fast alle Klimaforscher:innen den menschengemachten Klimawandel bestätigen, nimmt man das Thema ernster. Schon kleine Zweifel an dieser Einigkeit können jedoch Misstrauen säen – und genau das nutzen Desinformationskampagnen aus.

Bei der Organspende ist es ähnlich. Eigentlich herrscht ein breiter Konsens: Ärzt:innen, Fachgesellschaften, Ethikkommissionen, Religionsgemeinschaften und auch die Gesetzgeber sind sich einig, dass Organspende sinnvoll, sicher und ethisch vertretbar ist. Doch Mythen wie „Ärzte retten Organspender nicht mit voller Kraft“ oder „Organe gehen nur an Reiche“ zeichnen ein anderes Bild. Plötzlich wirkt die Organspende umstritten – und Vertrauen schwindet.

Wenn Zweifel die Tatsachen ins Wanken bringen

Beim Klimawandel ist bekannt: Wer denkt, dass die Wissenschaft gespalten ist, zweifelt schneller am menschlichen Einfluss, macht sich weniger Sorgen – und unterstützt seltener Klimaschutzmaßnahmen.

Bei der Organspende passiert etwas Vergleichbares: Wenn der Eindruck entsteht, die Fachwelt sei uneins, geraten Grundannahmen ins Wanken. Plötzlich stellen Menschen infrage, ob das System fair funktioniert, ob alle gleich behandelt werden, ob Ärzt:innen wirklich alles tun. Diese Zweifel gehen unter die Haut. Angst und Unsicherheit nehmen zu, Vertrauen nimmt ab.

Vom Denken zum Handeln

Solche Gefühle sind entscheidend für das Verhalten. Beim Klimawandel bedeutet das: Es gibt weniger Bereitschaft, politische Maßnahmen mitzutragen. Bei der Organspende betrifft es sehr persönliche Entscheidungen: Soll ich einen Organspendeausweis ausfüllen? Soll ich mit meiner Familie darüber reden? Würde ich im Ernstfall einer Spende zustimmen?

Die Logik bleibt dieselbe: Misstrauen und negative Emotionen bremsen die Bereitschaft, aktiv zu werden.

Was hilft gegen Falschinformationen?

Es gibt zwei besonders wirksame Dinge:

  • Konsens sichtbar machen.
    Studien zeigen: Wer erfährt, dass sich fast alle Fachleute einig sind, vertraut dem Thema eher. Für die Organspende bedeutet das, dass viel deutlicher kommuniziert werden sollte, dass Ärzt:innen, Fachgesellschaften, Ethik, Religion und Politik gemeinsam für Organspende eintreten.
  • Vorbereitung auf Mythen – die „Impfung“
    Psycholog:innen sprechen in diesem Zusammenhang von Inokulation, einer Art psychologischen „Impfung“ gegen Falschinformationen. Das heißt, Menschen werden schon vorab mit typischen Mythen vertraut gemacht – und es wird ihnen erklärt, warum diese falsch sind. Ein Beispiel ist die Sorge, bei der Organentnahme „wieder aufzuwachen“. Wenn man weiß, dass solche Geschichten gezielt Zweifel säen sollen und warum sie nicht stimmen, ist man weniger anfällig, wenn man sie später hört.

Unterschiede zwischen Klima und Organspende

Natürlich gibt es auch klare Unterschiede:

  • Beim Klimawandel verläuft die Spaltung stark entlang politischer Linien (konservativ vs. liberal). Bei der Organspende spielen politische Aspekte hingegen kaum eine Rolle; hier sind kulturelle, religiöse oder persönliche Gründe wichtiger.
  • Der Klimawandel betrifft die ganze Welt und erfordert kollektives Handeln. Die Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist dagegen eine intime, individuelle Entscheidung, die aber über Leben und Tod entscheiden kann.

Fazit

Die Studie von Logemann et al. beschäftigte sich ursprünglich mit dem Klimawandel – einem Thema, das seit Jahren im Zentrum von Desinformationskampagnen steht. Dort zeigte sich: Selbst wenn 97 % der Wissenschaftler:innen einer Meinung sind, reicht es, Zweifel am Konsens zu streuen, um die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen spürbar zu senken.

Bemerkenswert ist, dass sich dieses Modell recht gut auf die Organspende übertragen lässt. Natürlich wollen wir Klimawandel und Organspende nicht in einen Topf werfen, da es sich um sehr unterschiedliche Themen handelt. Aber die Mechanismen ähneln sich: Falschinformationen nutzen Unsicherheit, schüren Misstrauen und legen so den Grundstein für Polarisierung. Egal ob Klimapolitik oder Gesundheitsfragen – der Zweck ist derselbe: Menschen sollen verunsichert, gespalten und in ihrer Meinung manipulierbar gemacht werden.

Für die Organspende bedeutet das konkret: Wer Zweifel sät, verhindert Vertrauen – und somit lebensrettende Entscheidungen. Die Maßnahmen dagegen sind klar: den Konsens sichtbar machen (medizinisch, ethisch, religiös), Mythen proaktiv entkräften, Menschen durch Inokulation widerstandsfähiger machen und Vertrauen durch Transparenz und persönliche Geschichten stärken.

Die Frage, warum Menschen überhaupt Falschinformationen verbreiten, ist dagegen weitestgehend nicht klar. Die Motive sind vielfältig: Manche wollen Aufmerksamkeit oder Macht, andere verdienen Geld mit Klicks und Reichweite. In einigen Fällen stehen auch ideologische oder religiöse Interessen dahinter, in anderen ist es schlicht generelles Misstrauen gegenüber „denen da oben“. Gerade bei der Organspende fällt auf, dass viele Mythen aus einem tiefen Grundmisstrauen gegenüber der Medizin und Institutionen entstehen – ein Misstrauen, das von einzelnen Akteuren gezielt verstärkt wird.

Das Gateway (mis)Belief Model macht damit sichtbar: Es geht nicht nur um falsche Fakten. Es geht um ganze Mechanismen der Meinungslenkung. Wer das versteht, kann besser einschätzen, warum Falschinformationen so wirksam sind – und warum es so wichtig ist, ihnen früh, klar und transparent entgegenzutreten.

Originalpublikation

Logemann HT et al. The gateway (mis)belief model: How misinformation impacts perceptions of scientific consensus and attitudes towards climate change. British Journal of Psychology (1 September 2025). doi: 10.1111/bjop.70022