Organspende

The Pitt: Wenn Fernsehen Herzen bewegt

Wie eine US-Serie das Gespräch über Organspende verändert

Dennis M Stamm

10. Dez. 2025 · 5 Min. Lesezeit

DIATRA 4-2025
Fernsehen kann mehr, als nur Geschichten erzählen – manchmal kann es gesellschaftliche Debatten anstoßen. Das zeigt eindrucksvoll die US-Serie „The Pitt“, ein fiktionales, aber außergewöhnlich realistisch inszeniertes Krankenhausdrama. Die Serie spielt nicht in der Glamourwelt typischer TV-Medizin, sondern mitten im Chaos einer amerikanischen Notaufnahme: überarbeitetes Personal, volle Flure, moralische Dilemmata – und Entscheidungen, die über Leben und Tod bestimmen.
Anfang 2025 startete „The Pitt“ auf dem Streamingdienst HBO Max. Produziert wurde sie von John Wells und Noah Wyle, der vielen noch aus „ER – Emergency Room“ bekannt ist. In der Hauptrolle verkörpert Wyle den erfahrenen, erschöpften Arzt Dr. Michael Rabinovitch, genannt „Dr. Robby“, der gemeinsam mit seinem Team um Patient:innen kämpft – und um seine eigene seelische Stabilität.
Doch „The Pitt“ will mehr, als nur Krankenhausdrama sein: Die Serie stellt gesellschaftliche Fragen – nach Verantwortung, Mitgefühl und der Würde am Lebensende. Besonders ein Handlungsstrang ging dem Publikum unter die Haut: die Geschichte einer Organspende, die alles verändert.

Eine Geschichte, die unter die Haut geht

In den Episoden 2 bis 8 erzählt „The Pitt“ die Geschichte von Nick Bradley, einem 19-jährigen Patienten, der nach einer Fentanyl-Überdosis hirntot eingeliefert wird. Seine Eltern können den Verlust kaum fassen – und sträuben sich zunächst gegen die Organspende. Erst nach einem intensiven Gespräch mit ihrem Pastor treffen sie eine Entscheidung, die Leben rettet. Das Krankenhauspersonal steht Spalier, als Nick zu seinem letzten Weg gebracht wird – eine „Honor Walk“-Szene, die in den USA Millionen bewegte.
Diese Szenen sind keine Fiktion im luftleeren Raum. In den Vereinigten Staaten wird der sogenannte Honor Walk tatsächlich durchgeführt – als stiller Akt der Anerkennung für Spender:innen, deren Organe anderen Menschen neues Leben schenken.

Was die Forschung dazu sagt

Das Norman Lear Center der University of Southern California hat untersucht, wie „The Pitt“ auf das Publikum wirkt. Für die Studie wurden 1.409 HBO-Max-Nutzer:­innen befragt, darunter über 700 Menschen, die mindestens drei Folgen gesehen hatten. Außerdem nahmen 25 Mediziner:innen mit Notfallerfahrung an Interviews teil.
Die Ergebnisse sind beeindruckend:
  • 87 % gaben an, sich während des Schauens „emotional stark eingebunden“ zu fühlen.
  • Menschen, die die Organspende-Folgen gesehen hatten, waren zwei- bis dreimal häufiger aktiv, etwa indem sie sich über Organspende informierten oder darüber in sozialen Medien schrieben.
  • 26,9 % der Zuschauenden suchten aktiv Informationen zur Organspende (gegenüber 9,3 % der Nicht-Zuschauer:innen).
  • 17,2 % teilten Beiträge über Organspende in sozialen Medien (Nicht-Zuschauer:innen: 5,3 %).
  • Besonders stark war der Effekt bei Black und Latino-Menschen, die in den USA bislang unterrepräsentiert sind – sowohl als Spender:innen als auch als Empfänger:innen.
Auch die emotionale Wirkung wurde gemessen:
  • 63,9 % fühlten Trauer,
  • 63,6 % Empathie,
  • 39,8 % Hoffnung.
Und das ist entscheidend: Hoffnung war der stärkste Motor für Handlung. Wer sich hoffnungsvoll fühlte, suchte deutlich häufiger nach weiteren Informationen – wer vor allem Trauer empfand, blieb emotional berührt, aber passiver.

Mehr als Unterhaltung

Das Team um Noah Wyle und Produzent John Wells („Shameless“, „ER“) wollte genau das erreichen: nicht nur Drama, sondern Wirkung. Fachleute aus Palliativ-, Sozial- und Transplantationsmedizin halfen, die Drehbücher realistisch zu gestalten. Die Serie verzichtet auf überzogene „Wunderheilungen“ und zeigt stattdessen, wie strukturelle Probleme – Personalmangel, Bürokratie, soziale Ungleichheit – über Leben und Tod entscheiden.
In der Fachwelt stieß das auf große Resonanz. Ärzt:innen, die an der Studie teilnahmen, beschrieben das Schauen der Serie als „kathartisch“ und „validierend“ – endlich fühle man sich „gesehen“. Einige nutzten Ausschnitte sogar in der Lehre, um mit Studierenden über Trauer, Selbstfürsorge und Kommunikation am Lebensende zu sprechen.

Warum das Thema Organspende so schwierig bleibt

In den USA wie auch in Deutschland herrscht immer noch Unsicherheit, wenn es um Organspende geht. Viele Menschen befürchten Missbrauch, fühlen sich unzureichend informiert oder möchten sich nicht mit einer Entscheidung belasten.
Genau hier können Serien wie „The Pitt“ etwas bewegen. Sie zeigen, was medizinische Aufklärung allein oft nicht schafft: das Menschliche. Sie geben den anonymen Zahlen Gesichter – Spender:innen, Familien, Ärzt:innen – und machen verständlich, warum eine Spende kein Verlust, sondern auch ein Akt der Liebe sein kann.

Was Fachleute daraus lernen können

Für Ärzt:innen, Pflegekräfte und Kommunikationsprofis liefert „The Pitt“ wichtige Impulse:
  • Serien als Gesprächsanstoß: Clips oder Szenen können einfühlsam in Schulungen, Angehörigengesprächen oder Workshops eingebunden werden.
  • Emotionale Zugänge nutzen: Fakten sind wichtig, aber Gefühle bewegen. Geschichten helfen, Ängste zu thematisieren.
  • Hoffnung betonen: Studien zeigen, dass Hoffnung zu mehr Handlungsbereitschaft führt – etwa zur Registrierung als Spender:in.
Auch Organisationen, die in Deutschland über Organspende aufklären, könnten von diesem Ansatz profitieren: weniger Hochglanzkampagnen, mehr echte Geschichten.

Geschichten können Leben retten

„The Pitt“ hat gezeigt, dass Fernsehen mehr kann, als uns ablenken. Wenn Geschichten authentisch sind, wenn sie Schmerz und Menschlichkeit zeigen, dann können sie Denkanstöße geben – und sogar Verhalten verändern.
In den USA hat die Serie nachweislich neue Gespräche über Organspende ausgelöst. Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft: Dass wir wieder anfangen, darüber zu sprechen – mit unseren Familien, Patient:innen, Freund:innen. Denn jedes dieser Gespräche kann im Ernstfall den Unterschied machen.

Die Studie

© Norman Lear Center der University of Southern California
© Norman Lear Center der University of Southern California