Portrait

Uns rennt die Zeit davon

Aus DIATRA 2-2023

Rebecca Biernat

2. Juni 2023 · 6 Min. Lesezeit

DIATRA 2-2023
Mein Name ist Rebecca. Ich bin 34 Jahre alt und frisch verheiratet. Ich bin glücklich mit meinem Mann, unseren Katzen und unserem Leben hier in Hamburg. Bis auf die Tatsache, dass ich seit Oktober 2021 auf der Warteliste für eine Leber stehe. 

Ich dachte ich bilde mir alles ein

Schon in den Jahren vorher habe ich gespürt, dass irgendwas mit mir nicht stimmt. Ich war oft müde, aufgedunsen und niedergeschlagen. Etliche Versuche bei verschiedenen Ärzten Hilfe zu finden verliefen im Sande und führten nur dazu, dass ich dachte, ich bilde mir das Alles nur ein. Nachdem es mir tagelang so schlecht wie nie ging, ich nichts bei mir behalten und mich kaum auf den Beinen halten konnte, ging ich erneut zu einer anderen Ärztin.
Nach einem Blutbild und einer Untersuchung kam dann der Schock: Miserable Leberwerte, wahrscheinlich müsste ich transplantiert werden und auf jeden Fall muss ich sofort ins Krankenhaus (UKE). Mittlerweile war es auch sichtbar, dass etwas mit meiner Leber ganz und gar nicht in Ordnung war, ich war gelb und mein ganzer Körper war aufgeschwämmt.

Gene und Autoimmunkrankheiten

Die Diagnose war eine irreparable Leberzirrhose Grad C mit einer beginnenden Niereninsuffizienz und somit ist meine einzige Chance auf Heilung eine Lebertransplantation. Ausgelöst wurde diese Erkrankung durch eine erbliche Vorbelastung und auch die Verkettung verschiedener Faktoren bedingt durch Autoimmunerkrankungen. Es folgten unzählige Pleurapunktionen und etliche Krankenhaus- und Arztbesuche.
Seitdem bei mir eine TIPS-Anlage* zur Entlastung der Leber gemacht wurde, sind die Punktionen viel seltener geworden, was es natürlich um Einiges angenehmer macht durch den Alltag zu gehen. Eine Dauerlösung ist das leider nicht, denn es ist zu erwarten, dass der TIPPS irgendwann nicht mehr helfen wird.
Allerdings führt die Therapie aus verschiedenen Medikamenten und regelmäßigen Untersuchungen dazu, dass der Prozess des weiteren Abbaus verlangsamt wird. Das verdanke ich insbesondere der guten und aufopferungsvollem Betreuung des Teams der Leberambulanz sowie den Ärzten und dem Pflegepersonal auf den Stationen.

Ich halte mich für die Klinik fit

Auch Sport ist so für mich so wieder möglich, der auch dafür wichtig ist, dass mein Körper fit bleibt, denn sollte ich doch mal wieder länger im Krankenhaus sein oder auch zu Hause mehrere Tage das Bett nicht verlassen können, geht der körperliche Abbau immer relativ schnell.
Nun bin ich frühverrentet und habe einen GdB von 80. Nichts ist mehr wie es war und alles ordnet sich meiner Erkrankung unter. Selbst wenn es mir gut geht, ist immer im Hinterkopf, was ist, wenn es mir plötzlich schlecht geht, etwas unvorhergesehenes passiert oder wenn der lang erwartete Anruf kommt.

Alle guten Dinge sind drei

Zwei Mal hat das Telefon bereits geklingelt und ich bin mir sicher, aller Guten Dinge sind drei!
Der erste Anruf kam spät abends und ich saß mit meinem Mann im Taxi, vollkommen aufgelöst und mit der Situation überfordert und das Erste was mir einfiel war, dass ich nie wieder Sushi oder ein richtig gutes Steak essen kann. Leider konnte ich es seitdem noch oft tun, denn ich würde liebend gerne auf all das sofort verzichten, wenn nur dafür die Zeit des Wartens vorbei wäre.

Wahnsinnige Belastungsprobe

Sowohl für mich als auch für meine Lieben ist es eine wahnsinnige Belastungsprobe. Auch wenn wir uns alle große Mühe geben, so normal wie möglich weiter zu machen. Ich bin jedem Einzelnen unfassbar dankbar, dass er den Weg mit mir geht und mich unterstützt. Unser aller Leben hat sich stark verändert. Man ist sich selten bewusst, wie viele Menschen von einer solchen Diagnose betroffen sind.

Glücklich verliebt

Vor allem bin ich meinem Mann dankbar, der sicherlich auch ein anderes gemeinsames Leben im Sinn hatte, als wir uns trafen. Aber er hat sich dafür entschieden bei mir zu bleiben und auch deshalb war jetzt der richtige Zeitpunkt zu heiraten. Ich fühlte mich gerade wohl und gut und glücklich. Die Vorbereitung und Planung des Hochzeitstages war eine der schönsten Aufgaben in den letzten Jahren.
Rebecca Biernat feiert ihre Hochzeit
Rebecca Biernat feiert ihre Hochzeit
Kurz nach meiner Hochzeit hatte ich dann aber eine hepatische Enzephalopathie. Ich wusste nicht mehr welcher Tag war, wo ich war oder was passiert ist. Auch das Schreiben und Sprechen fiel mir wahnsinnig schwer. Die Krankheit hat sich also sofort auf schreckliche Art zurückgemeldet. 

Lektion über Resilienz und Dankbarkeit

Dieses Erlebnis war so einschneidend und angsteinflößend für uns alle und ich hoffe, dass es nie wieder passieren wird. Gleichzeitig hab ich gelernt, wie resilient jeder von uns sein kann und wie viel mehr wir schaffen und aushalten können.
Vieles was in den vergangen Jahren passiert ist, hat mir gezeigt, dass man für jeden Tag und auch jede Erfahrung dankbar sein sollte. Wenn ich früher oft trotzig, lustlos oder einfach schlecht gelaunt war, weil es manchmal einfacher ist, als freundlich zu sein, sehe ich Vieles heute anders. Und sicherlich auch gelassener.

Wut auf die Politiker

Was mich allerdings immer noch wütend macht, ist, wie in Deutschland mit dem Thema Organspende umgegangen wird und wie unwichtig das für die Politik zu sein scheint.
Ich versuche mich dafür stark zu machen und mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.
Viele Menschen sind sehr offen, wenn es um das Thema geht. Es fehlt ihnen einfach an Aufklärung und an den passenden Anlaufstellen.
Wenn man nicht gezielt danach fragt, passiert es fasst nie, dass man bei Ärzten, Behörden, etc. darauf aufmerksam gemacht wird.
Wir brauchen mehr Spender, die Widerspruchsregelung, mehr Öffentlichkeit und vor allem mehr Aufklärung!

Die Zeit rennt uns weg

Es ist so wichtig klar zu machen, dass uns und unseren Familien die Zeit wegrennt. Nichts ist so wertvoll, wie die Zeit die wir miteinander haben.
Und ich hoffe sehr, dass wir es schaffen mehr Druck auf die Entscheidungsträger auszuüben und mehr Menschen dazu mobilisieren zu können, eine Entscheidung zu treffen.
Die Einführung einer Widerspruchsregelung wäre auch gegenüber unseren Nachbarländern fair, die es oft besser machen und deren Organe dann oft auch nach Deutschland gehen.
Ich bleibe positiv, dass wir alle gemeinsam das Problem lösen werden. Das Leben ist so schön. Daher sollten wir darum kämpfen.
* TIPS-Anlage = steht für transjugulärer intrahepatische portosystemische Shunt und bezeichnet eine minimal-invasiv geschaffene Verbindung zwischen der Pfortader und der Lebervene durch die Leber hindurch. Ziel eines TIPS Ziel ist es, einen Teil des Blutflusses aus der Pfortader nicht in die Leber, sondern direkt in den großen Blutkreislauf zu leiten.