Rund 6000 syrische Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Deutschland, davon etwa 5000 in Krankenhäusern. Unter den ausländischen Medizinern sind Syrer damit die größte Gruppe. Angesichts der vielfach wahlkampfgeschuldeten Abschiebe-Debatten nach dem Sturz des Assad-Regimes stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn uns tatsächlich syrische Ärztinnen und Ärzte in großer Zahl verlassen würden.
Vorab ein paar Daten: Bei 222.000 Ärztinnen und Ärzten in deutschen Krankenhäusern entsprechen die rund 5000 Syrer mehr als zwei Prozent der Belegschaft. Gleichzeitig können die Krankenhäuser derzeit etwa 5.500 Stellen im ärztlichen Bereich nicht besetzen, da Bewerbungen fehlen. Angenommen, es verließen tatsächlich sämtliche syrischen Ärzte Deutschland, würde sich die Zahl der offenen Stellen in den Krankenhäusern also verdoppeln. Sicherlich würde die Versorgung nicht zusammenbrechen, aber die Engpässe wären dennoch spürbar. Verschärfend kommt hinzu, dass geflüchtete syrische Ärzte vielfach Stellen in Ostdeutschland und in ländlichen Regionen übernommen haben, also dort, wo die Stellenbesetzung ohnehin schwieriger ist.
Es stellen sich in der Debatte aber auch ethische Fragen. Es ist anzunehmen, dass sich viele geflüchtete Syrer in Deutschland ein stabiles Leben aufgebaut haben. Ihre Kinder besuchen deutsche Schulen und Universitäten oder sind gleich hier geboren. Gerade bei Ärztinnen und Ärzten mit ihren hohen Gehältern ist davon auszugehen, dass sie sich zum großen Teil in Deutschland eingerichtet haben. Gleichzeitig ist Syrien weit davon entfernt, stabil, sicher und friedlich zu sein. Weite Teile des Landes liegen in Trümmern, viele Geflüchtete haben ihr gesamtes Eigentum in Syrien verloren. Trotzdem und gerade deswegen benötigt das Land natürlich Ärztinnen und Ärzte, und das sicher noch viel dringender als wir es tun. Dass es doch viele der einst Geflüchteten nun wieder in die Heimat zieht, ist mehr als verständlich. Sollte eines der reichsten Länder der Welt syrische Ärztinnen und Ärzte von der Rückkehr abhalten? Das wäre sicher nicht der richtige Weg. Es wäre aber auch falsch, die bei uns dringend benötigten und gut integrierten Fachkräfte mit Prämien davon zu überzeugen, Deutschland zu verlassen, oder noch schlimmer mit Rückführungsdebatten aus dem Land zu drängen.
Grundsätzlich führt uns die Diskussion aber zur Frage, wie wir Fachkräfte in Deutschland sichern und gewinnen. Einwanderung ist eine von vielen Teilantworten auf diese Frage. Sie wird aber den Fachkräftemangel nicht beenden. Und dass Einwanderung prekär sein kann, zeigt uns die aktuelle Diskussion um möglicherweise rückkehrwillige Syrer. Als Einwanderungsland belegt Deutschland in diversen Rankings und Umfragen längst keine Spitzenplätze mehr. Ärztinnen und Ärzte aus Nicht-EU-Ländern sind mit manchmal jahrelangen kaum durchschaubaren bürokratischen Prozessen konfrontiert. Fehlende Digitalisierung, Bürokratie, fehlende Willkommenskultur bis hin zur Fremdenfeindlichkeit, zu wenige und zu teure Wohnungen sind Punkte, die immer wieder auftauchen, wenn es um Deutschland als Einwanderungsland geht. Hier hätte die Politik mehr zu tun, statt mit Abschiebe-Debatten in den Wahlkampf zu ziehen. Es geht aber auch darum, mit der schon vorhandenen ärztlichen Arbeitskraft sinnvoller umzugehen. Knapp drei Stunden täglich müssen Ärztinnen und Ärzte mit medizinisch meist nutzloser Schreibarbeit verbringen. Nur eine Stunde weniger pro Tag und wir hätten rechnerisch 21.600 ärztliche Vollzeitkräfte mehr zur Verfügung. Niemand würde mehr über Engpässe diskutieren, weil syrische Geflüchtete möglicherweise wieder in ihre Heimat zurückkehren möchten. Und natürlich muss es langfristig darum gehen, Behandlungen so gut wie möglich zu vermeiden, indem wir ein präventionsorientiertes Gesundheitssystem aufbauen.
All das und noch viel mehr muss auf der gesundheitspolitischen Agenda einer neuen Regierung stehen. Wir können nicht weiter darauf setzen, dass uns die Kriege und Konflikte auf der Welt regelmäßig geflüchtete Fachkräfte für unseren Bedarf liefern.