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Statistiken

Kommentar: Das Zahlenkuddelmuddel bei Organspende und Transplantation – eine gar nicht so (un)angenehme Verwirrung?

Universitätsprofessor Dr. Bernhard Banas

8. März 2024 · 4 Min. Lesezeit

DIATRA 1-2024

Hand aufs Herz – haben Sie sich auch schon daran gewöhnt, dass wir in Deutschland nicht einmal ausreichende Zahlen haben, um die Miseren im Gesundheitswesen zu beschreiben? 

Während andere Länder beispielsweise jährlich und auf den Kopf genau berichten, wie viele Dialysepatientinnen und Dialysepatienten und wie viele lebende Nierentransplantierte es gibt, fehlen dazu in Deutschland offizielle Angaben. Nicht so wichtig, könnte man vielleicht so meinen, wir haben ja kein strukturelles Defizit und Deutschland kann es sich leisten, jeden zu dialysieren. Ich sehe das anders: Zum einen, weil erfolgreich Transplantierte gegenüber Dialysepatienten eine signifikant längere Lebenserwartung haben. Zum anderen, weil wir – auch wenn uns das Geld nicht ausgehen sollte – ohne Kurskorrekturen schon sehr bald in die Situation kommen können, dass sehr wohl Versorgungsengpässe drohen. Ärztliches und pflegerisches Personal ist und wird zunehmend knapp und erste Schließungen von Dialysezentren sind bereits Realität.

Nun zur Organspende: Die DSO berichtet in ihrem Kommentar auf Seite 38 von 965 Organspendern für Deutschland im Jahr 2023, Eurotransplant dagegen hat der DIA­TRA-Redaktion die Zahl von 1018 „Reported Donors“ (gemeldete Spender) übermittelt.

Postmortale Nierenspende und realisierte Transplantationen (2014-2023) (Quelle: Eurotransplant & DSO)
Postmortale Nierenspende und realisierte Transplantationen (2014-2023) (Quelle: Eurotransplant & DSO)

Herr Stamm vom DIATRA-Verlag und ich kamen ob dieser Differenz ins Grübeln, zumal ja Eurotransplant die deutschen Zahlen von der DSO bekommt. Zum Glück war die DSO wie immer hilfsbereit und erklärte uns, dass es „reported donors“ gibt (d.h. die Voraussetzung zu einer Organspende war rein prinzipiell gegeben), „kidney donors reported“ (Spender, von denen mindestens 1 Niere an Eurotransplant gemeldet wurde) und „kidney donors used“ (Spender, von denen mindestens 1 Niere entnommen und transplantiert wurde).

Soweit technisch nachvollziehbar, aber mit etwas gesundem Menschenverstand ließe sich leicht Ordnung in die Sache bringen, zumindest sollten sich alle Beteiligten ein für allemal auf eine Zahl einigen, die man publiziert. Zumal es auch noch unterschiedliche Zählzeiträume gibt und andere Institutionen, wie z.B. die Qualitätssicherung, wiederum in Nuancen anders definieren und auch schon zu nochmals anderen Zahlen gekommen waren. 
Ich würde hier den Vorschlag machen, dass jede und jeder dann als Organspender(in) gezählt wird, wenn mindestens 1 Organ entnom­men wurde. Und als Stichpunkt für die Zählung würde ich den Tag der Explantation (Entnahme) nehmen.

Das aber mag alles noch eine technisch-akademische Diskussion sein. Was mich aber wirklich noch viel mehr stört ist, dass die Zahlen zu Organspende und Transplantation nicht viel häufiger in Relation gesetzt werden.

Warum sage ich das: Geht es um andere Sachen, die uns alle bewegen, wie Einkommen, Steuern, Renten, Immobilien- oder Benzinpreise, so gibt es immer Einordnungen und zumeist einen internationalen Kontext. Jeder von uns weiß schon, bevor er in der Urlaub fährt, ob es im anderen Land günstiger oder teurer ist.

Bei der Organspende gibt es noch die einigermaßen übliche Zahl „Spender pro Million Einwohner pro Jahr“. In vielen Gesprächen stelle ich fest, dass die wenigsten von uns damit wirklich etwas anfangen können. Besser wäre hier schon mal erklärt, dass von zuletzt über 1 Million Verstorbenen in Deutschland im Jahr nicht einmal jeder 1000. postmortal Organe spendet.

Und was völlig fehlt sind aussagekräftige Vergleichszahlen zur Transplantation. Sie finden diese – wenn überhaupt – nur sehr versteckt beim sogenannten Newsletter „Transplant“ des Europarates im Internet  (s. https://www.edqm.eu/en/newsletter-transplant). Machen Sie sich einmal die Mühe und extrahieren und summieren Sie über die letzten Jahre die Transplantationszahlen bezogen auf die jeweilige Bevölkerung. Sie werden sehen: Deutschland kommt hier lediglich auf gut 40 Transplantationen pro Million Einwohner und Jahr. In anderen Ländern können jährlich doppelt und teilweise sogar fast dreimal so viele Patientinnen und Patienten transplantiert werden wie bei uns.

Und nur mit einem solchen Zahlenvergleich kann sich jeder plastisch vorstellen, was es denn für einen Unterschied macht, ob doppelt oder gar dreimal soviel transplantiert wird. Hier geht es nicht (nur) um Wartezeiten an der Dialyse, sondern letztlich um das blanke Überleben.

Ich frage mich oft, was in Deutschland wohl passieren würde, wenn Ärzte erklären müssten: In vergleichbaren Ländern gibt es doppelt so viele Möglichkeiten für eine Tumorbehandlung, doppelt so viele Möglichkeiten für einen Notarzteinsatz usw. usw. ??

Am besten: Bleiben Sie positiv und gesund, aber fragen Sie bitte nach, was sich hinter Zahlen verbirgt!