Nephrologie

„Es ist eigentlich schon kurz nach zwölf“

Dr. Michael Daschner, Verband Deutsche Nierenzentren (DN) e.V., exklusiv im DIATRA-Interview

Dennis M Stamm

1. Dez. 2023 · 5 Min. Lesezeit

DIATRA 4-2023

Nach dem Interview mit Professor Dr. Dieter Bach vom KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. in DIATRA 3-2023 befragten wir auch Dr. Michael Daschner vom Verband Deutsche Nierenzentren (DN) e.V. zur aktuellen Situation in der Dialyseversorgung. Um es kurz zu machen:  Aktuell ist die Versorgung in Dialysepraxen durch eine begrenzte Anzahl an Fachkräften, eingeschränkte Ressourcen für die Patientenbetreuung und eine limitierte Verfügbarkeit moderner Technik geprägt.

Nachdem im Jahr 2013 die nichtärztlichen Kostenpauschalen für Dialysen abgesenkt und die ärztlichen Vergütungen erhöht worden waren, erfolgte zum 1. Januar 2023 eine Erhöhung für nichtärztliche Dialyseleistungen um zwei Prozent. Angesichts der Kostensteigerungen im Allgemeinen und bei der Energieversorgung im Besonderen scheinen zwei Prozent nicht viel zu sein. Oder täuscht der Eindruck?

Daschner: Nein, der Eindruck täuscht leider nicht. Die zweiprozentige Erhöhung der Pauschalen nach zehn Jahren „Nullrunde“ kann nur ein erster Schritt sein. Die Pauschalen sollen alle nichtärztlichen Dialyseleistungen abdecken, also neben der Bereitstellung der Behandlungseinrichtungen und Geräte, deren Reparatur, Wartung und Erneuerung, den Material-, Energie-, Wärme-, Wasser- und Entsorgungskosten, insbesondere – und das wird oft übersehen – die Personalkosten für die pflegerische Betreuung der Patienten und Patientinnen.
Die Pauschalen sind nicht mehr ausreichend, um die steigenden Kosten der Dialysebehandlungen zu decken. Sämtliche Kosten, sind in den letzten Jahren stark angestiegen, ganz besonders die Personalkosten. Der Fachkräftemangel in der Krankenpflege trifft uns hier ganz besonders, weil die Praxen mit den Krankenhäusern um qualifiziertes Personal konkurrieren und bei den steigenden Gehältern kaum mithalten können. Wir brauchen daher eine Anpassung der Vergütung, die auch regelmäßig dynamisiert und zukunftsgerecht weiterentwickelt wird. Nur so kann die wohnortnahe Versorgung mit der lebenserhaltenden Dialyse auch in Zukunft sichergestellt und können auch Investitionen in neue Technik ermöglicht werden.

Die Kassen der Dialysezentren scheinen immer leerer zu werden, was sich wiederum auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten auswirkt. Wie schlimm ist es wirklich?

Daschner: Es ist eigentlich schon kurz nach zwölf. Viele Nephrologinnen und Nephrologen sehen zurzeit schwarz, was die Zukunft der ambulanten Versorgung angeht. Wir erhalten immer mehr Nachrichten von verzweifelten Mitgliedern. Sie haben mit starken Belastungen zu kämpfen, die über kurz oder lang Auswirkungen auf die Patientenversorgung haben werden:
Reduzierte Personalausstattung: Die zunehmenden finanziellen Belastungen führen dazu, dass Dialysezentren Schwierigkeiten haben, ausreichend qualifiziertes Personal zu halten oder einzustellen. Dies wird die Qualität der Patientenversorgung beeinträchtigen.
Eingeschränkte Ressourcen für Patientenbetreuung: Dialysepatienten benötigen oft eine umfassende Betreuung und Unterstützung. Die stetig steigenden Kosten in den Zentren führen dazu, dass zusätzliche Dienstleistungen, wie Ernährungsberatung, psychologische Unterstützung oder soziale Dienste, nicht mehr angeboten werden können.
Eingeschränkte Verfügbarkeit moderner Technik: Fortschritte in der medizinischen Technik können die Qualität der Behandlungen und die Lebensqualität der Patienten verbessern. Stark eingeschränkte finanzielle Handlungsspielräume führen jedoch dazu, dass 
Zentren nicht mehr in der Lage sind, in Zukunftstechnologie zu investieren.

Einige Zentren haben ihr Angebot reduziert. So bieten einige nur noch drei statt fünf oder sechs feste Dialysetage pro Woche an. Andere schließen ihre Nachtdialyse, die in Deutschland ohnehin eine aussterbende Spezies zu sein scheint. Auch berichten uns Dialysepatient:innen, dass die Verpflegung in den Zentren reduziert oder ganz gestrichen wurde. Einzelfälle?

Daschner: Dabei handelt es sich leider nicht um Einzelfälle. Viele unserer Mitgliedspraxen müssen aus Kostengründen ihr Angebot reduzieren. Das merkt man dann bei der Verpflegung oder dem Abbau von Nachtdialysen. Es wird nur noch das angeboten, was zwingend erforderlich, um „über die Runden zu kommen. Besonders Jüngere und Berufstätige leiden unter den Kürzungen. So hören wir auch immer wieder von Patienten, dass sie Schwierigkeiten haben, einen Feriendialyseplatz zu finden. In unseren Augen zeigt das das Bemühen, die Versorgung noch irgendwie aufrecht zu erhalten, aber auch, dass das Wohl der Patienten zunehmend in den Hintergrund tritt.

Seit 2017 wurden 42 Dialyseeinrichtungen geschlossen. Andere wurden zusammengelegt. Das KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation nennt beispielsweise steigende Energie- und Personalkosten als Gründe. Wie schätzen Sie die Situation ein und haben Sie Zahlen dazu?

Daschner: Noch musste keine unserer Mitgliedspraxen schließen. Jedoch wurden einige Praxen an kommerzielle Anbieter verkauft. Es wird für niedergelassene Nephrologinnen und Nephrologen zunehmend schwerer, kostendeckend zu praktizieren. Unsere Mitglieder sind an ihrem Limit angekommen; eine Erhöhung der Dialysekostenpauschale ist dringend erforderlich. Ansonsten drohen auch bei DN-Zentren Praxisschließungen. Für die Patientinnen und Patienten würde dies bedeuteten, dass die wohnortnahe Versorgung wegfällt und sie das Zentrum wechseln müssten, verbunden mit längeren Anfahrtswegen und einem neuen Umfeld. Gerade für ältere Patientinnen und Patienten und im ländlichen Raum wäre das nicht einfach, da sie ihre Nierenersatztherapie in der Regel über viele Jahre mit denselben Mit-Patienten und dem vertrauten Personal durchführen. Zudem ist es so: Mit jedem geschlossenen Zentrum entfällt auch die neph­rologische Sprechstunde und die präventive ärztliche Arbeit. Dabei vermeidet doch gerade die „verhinderte Dialyse“ die meisten Kosten für das Gesundheitssystem und das größte Leid für die Betroffenen.

Realistisch betrachtet: Wie stark müssten die Sachkostenpauschalen angehoben werden, um die Versorgung der betroffenen Dialysepflichtigen auch in Zukunft gewährleisten zu können?

Daschner: Wenn man sich nach der Entwicklung des Orientierungspunktwertes seit 2015 richtet, müssten sich die Kostenpauschalen bereits um etwa 15 % erhöht haben.

Gibt es neben den steigenden Kosten noch andere Probleme in der ambulanten Nephrologie?

Daschner: Durch die Krankenhausstrukturreform werden auch auf den ambulanten Beruf große Herausforderungen entstehen. Schon jetzt suchen viele Mitglieder, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, händeringend Nachfolger für ihre Praxen. Wir benötigen daher mehr Investitionen in die Nachwuchsförderung und die fachärztliche Weiterbildung. Es müssen auch dringend mehr Studienplätze für Medizin geschaffen und Weiterbildungsstellen finanziert werden.

Herr Dr. Daschner, wir danken Ihnen herzlich für das Interview.