... damit Patientinnen und Patienten vom medizinischen Fortschritt profitieren
Dr. Andrea Dick
4. Sept. 2024 · 5 Min. Lesezeit
Statement von Dr. Andrea Dick, 1.Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Immungenetik (DGI) und Leiterin des Labors für Immungenetik und molekulare Diagnostik der Abteilung für Transfusionsmedizin, Zelltherapeutika und Hämostaseologie an der Ludwig-Maximilians- Universität München
Organtransplantationen sind lebensrettende medizinische Eingriffe, die jedes Jahr Tausenden von Patienten eine neue Lebensperspektive bieten. Trotz des medizinischen Fortschritts und der verbesserten Transplantationstechniken gibt es immer noch einen erheblichen Mangel an Spenderorganen. In Deutschland warten derzeit etwa 9 000 Menschen auf ein lebensrettendes Organ (im Jahr 2023: 8716, davon Niere: 6513)1. Alle Vorgänge rund um die Organtransplantation sind in Deutschland durch das Transplantationsgesetz geregelt mit dem Ziel, „die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern“2. Je schneller ein Patient transplantiert werden kann, desto größer seine Chance zu überleben. Im europäischen Vergleich warten deutsche Patienten länger auf ein Organ, vor allem auf eine Niere (in Deutschland: 8 bis 10 Jahre, in Österreich und Spanien: deutlich unter 4 Jahren)3. Eine Erklärung hierfür ist, dass in Deutschland die Anzahl an Organspendern nach Hirntod (nur diese Spende ist gemäß Transplantationsgesetz [TPG] in Deutschland erlaubt) pro 1 Million Einwohner im Jahr 2022 bei 10,7 und damit deutlich niedriger als in anderen Ländern liegt (zum Vergleich Österreich: 18,0, Spanien: 23,7)4. 2017 lag die Zahl der Organspender in Deutschland mit 797 auf dem niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren. 2019 waren es 932, wobei pandemiebedingt die Zahl weiter abnahm, auf 869 im Jahr 2022. Trotz leichter Zunahme im Jahr 2023 auf 965 Spender mit 2877 entnommenen und transplantierten Organen1 sind es verglichen mit der Anzahl an Patienten auf der Warteliste viel zu wenig Organspender.
Wie kann man seinen Willen zur Organspende dokumentieren? In den meisten europäischen Nachbarländern gilt die Widerspruchslösung, die eine Organspende ermöglicht, wenn dieser nicht schriftlich oder mündlich gegenüber Angehörigen widersprochen wird. In Deutschland gilt seit 2012 die Zustimmungslösung, die ausdrücklich eine aktive Willensbekundung zur Organspende erfordert. Im Januar 2020 kamen im Bundestag zwei Gesetzesentwürfe zur Abstimmung. Der eine Entwurf sah eine Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende vor und war eine Reform der bestehenden Zustimmungslösung5, der andere dagegen wollte die Widerspruchslösung ermöglichen6. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte fraktionsübergreifend für eine Reform der Zustimmungslösung, die unter anderem durch eine deutlich stärkere Aufklärung der Bevölkerung sowie ein bundesweites Onlineregister mehr Menschen dazu bewegen sollte, sich aktiv mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen. Auch mit einer Stärkung der Rolle der Transplantations- beauftragten in den Entnahmekrankenhäusern sowie einer besseren Vergütung für Kliniken, die eine Organspende ermöglichen, hat der Gesetzgeber versucht, die Zahl der Organspender beziehungsweise der gespendeten Organe zu steigern7. Da es weiterhin zu wenig gespendete Organe gibt und jedes Jahr circa 1000 Patienten versterben, während sie auf ein lebensnotwendiges Organ warten, ist die Debatte über die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland erneut in Gang gekommen. Weitere Gründe für die erneute Diskussion ist die Diskrepanz zwischen der in Umfragen kontinuierlich hohen Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende und der niedrigen Rate offiziell registrierter Spendewilliger. Dies führt immer wieder dazu, dass Angehörige aus Unkenntnis über den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen einer Organspende nicht zustimmen (bis zu 40 Prozent)1.
Um die Widerspruchslösung erfolgreich umzusetzen, bedarf es umfassender Aufklärungskampagnen, um die Bevölkerung über die Funktionsweise und die Möglichkeiten der Ablehnung zu informieren. Das seit diesem Jahr zur Verfügung stehende Organspenderegister könnte dabei sicherstellen, dass Widersprüche zuverlässig erfasst und im Ernstfall abgerufen werden können. Schließlich sind transparente Prozesse und regelmäßige Berichte über die Verwendung von Spenderorganen essenziell, um das Vertrauen der Bevölkerung in das System zu stärken.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass es in Deutschland nach wie vor zu wenig gespendete Organe gibt und die Wartezeiten für die Patienten unzumutbar lang sind. Das führt dazu, dass Patienten von der Warteliste genommen werden müssen, weil sich ihr Gesundheitszustand so stark verschlechtert hat, dass sie nicht mehr transplantiert werden können, oder auf der Warteliste versterben. Auch sei auf die Gruppe der immunisierten Patienten hingewiesen, für die es nahezu unmöglich ist, in einer vertretbaren Wartezeit einen kompatiblen Spender zu finden8. Auch diese Patienten würden von einem größeren Spenderpool mit einer höheren Wahrscheinlichkeit auf einen passenden Spender deutlich profitieren.
Daher unterstützt die Deutschen Gesellschaft für Immungenetik (DGI) wie auch andere Fachgesellschaften ausdrücklich die Einführung der Widerspruchslösung. Zusätzlich werden noch weitere Maßnahmen erforderlich sein, um den Mangel an Spenderorganen zu verringern und das Spendeniveau unserer europäischen Nachbarn zu erreichen.