Mario Rosa-Bian
3. März 2023 · 4 Min. Lesezeit
Am 1. März 2023 haben Vertreter:innen des Bündnisses ProTransplant in Berlin einen Offenen Brief an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übergeben. Da Minister Karl Lauterbach nicht verfügbar war, wurde der Brief zusammen mit 25 weißen Lilien von Ministerialrätin Claudia Siepmann, Leiterin des Referats Transplantationsrecht, sowie Pressereferent Sebastian Gülde in Empfang genommen. Beide sagten uns zu, den Brief und eine schriftliche Zusammenfassung unseres Gesprächs an Minister Lauterbach zu übermitteln.
Vor dem BMG präsentierten Vertreter:innen von ProTransplant und Unterstützer:innen den Brief im Großformat, um die Kernforderungen der über 50 Unterzeichnenden sichtbar zu machen. Besonders eindrücklich war eine Fotocollage mit Menschen, die aktuell auf eine Organspende warten, darunter Franziska Spatz, eine junge Frau, die mit 21 Jahren dialysepflichtig wurde und seit elf Jahren auf eine Niere wartet.

Darüber hinaus wurden 300 Grabkerzen angezündet. Sie symbolisierten die 3000 Menschen auf der Warteliste, die seit dem 16. Januar 2020, dem Tag, an dem das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende vom Bundestag beschlossen wurde, verstorben sind. Das vor genau einem Jahr in Kraft getretene Gesetz hat bisher keine Wirkung entfaltet und dies ist auch nicht zu erwarten. Siehe hierzu auch Das Warten auf die Umsetzung des Gesetzes vom 16.01.2020 ist völlig sinnlos.
Vor Ort waren neben den Betroffenen mehrere TV-Teams. Zazie Knepper als Mit-Initiatorin des Offenen Briefes und Franziska Spatz gaben Interviews. Unsere Aktion war unter dem Hashtag #WirWollenLeben kurzzeitig sogar in den Trends der sozialen Medien.
Anschließend wurden die InitiatorInnen der Aktion (Zazie Knepper, Anne Scheidler, Mario Rosa-Bian) und Franziska Spatz zu einem Gespräch ins Ministerium gebeten. Es war einerseits erfreulich, dass der Austausch eine knappe Stunde dauerte und dass wir in der Sache bei Frau Siepmann die berühmten „offenen Türen“ einrannten. Andererseits erklärte sie uns, dass Minister Lauterbach keine Initiative zu einer Gesetzesänderung in Richtung Widerspruchsregelung (WSR) ergreifen wird. Dies wurde damit begründet, dass das Thema Organspende eine ethische Problemstellung sei, bei der die Mitglieder des Bundestages nur ihrem Gewissen verpflichtet seien. Die Initiative für eine Neuauflage müsse aus dem Parlament heraus von einzelnen Abgeordneten ergriffen werden.
Wir haben sowohl den vermeintlichen ethischen Charakter einer solchen Debatte in Frage gestellt als auch das Ausbleiben einer durch Minister Lauterbach angestoßenen Initiative kritisiert. Wir brachten deutlich zum Ausdruck, dass wir vom Minister in dieser Frage politische Führung und Verantwortung erwarten. Im Kern geht es bei der WSR doch um die Frage: „Kann man den Bürger:innen zumuten, ihren Widerspruch einzulegen, wenn sie im Falle ihres Hirntodes (betrifft weniger als 1 Promille der in Deutschland Versterbenden) keine Organspender werden wollen?“ Aus unserer Sicht lautet die Antwort klar: JA.
Bezogen auf die angeblich eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeit durch den Minister haben wir darauf hingewiesen, dass in der Covid-19-Pandemie auch verantwortliche Minister Gesetze, Regelungen und Gebote initiiert haben – immer mit der Begründung, die Bevölkerung vor Leid und Tod zu schützen. Auch bei der WSR geht es genau darum! Wir haben klar gemacht, dass wir nicht hinnehmen, dass Deutschland sich in dieser Frage weiterhin isoliert: In 29 Ländern Europas gilt die WSR. In all diesen Ländern sind die Organspendezahlen höher als in Deutschland.
Frau Siepmann legte uns nahe, den Offenen Brief als Petition in den Deutschen Bundestag einzureichen. Dies ist durch eine einzelne Person möglich. Würden wir für die Petition 50.000 Unterschriften gewinnen, müsste diese öffentlich im Ausschuss behandelt werden. Darüber hinaus berichtete Frau Siepmann, dass der Bundestag demnächst möglicherweise Erleichterungen im Bereich der Überkreuz- und Kettenspende beschließen wird.