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Panorama

Träumen Autokraten von ewigem Leben?

Wie Putin und Xi den Tod herausfordern

Dennis M Stamm

11. Sept. 2025 · 5 Min. Lesezeit

Autokraten fürchten keine Revolution, keine Sanktionen, keine Atombombe – ihr einziger Gegner ist der Tod. Er lässt sich nicht wegsperren, nicht bestechen, nicht mit Panzern überrollen. Putin und Xi, beide jenseits der 70, träumen inzwischen nicht mehr nur von geopolitischer Größe, sondern von Ersatzteillagern für ihre Körper. Bei der Parade in Peking im September 2025 wurde ihre Fantasie versehentlich über ein heißes Mikrofon hörbar: „Menschliche Organe können laufend transplantiert werden, sodass Menschen jünger werden können, vielleicht sogar unsterblich“, murmelte Putin. Xi ergänzte: „Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten Menschen bis zu 150 Jahre alt werden“ (The Guardian vom 05.09.2025). Zwei Herrscher, die ihr politisches Überleben längst auf Jahrzehnte hinausgezögert haben, wollen nun auch ihr biologisches Überleben um jeden Preis verlängern. Ihre Vision ist keine harmlose medizinische Ambition, sondern eine grotesk-dystopische Vorstellung, in der Macht und Körper verschmelzen und jede moralische Grenze zur Farce wird.

Autokraten und der Traum der Unsterblichkeit

Zahlreiche Kaiser und Diktatoren suchten bereits Wege, dem Tod zu entkommen. Der erste Kaiser von China, Qin Shi Huangdi (247 v. Chr. – 210 v. Chr.), trank Quecksilberelixiere – und starb früh. Als der sowjetische Diktator Stalin (nachdem er dank eines nächtlichen Trinkgelages am 28. Februar 1953 einen Schlaganfall erlitt) am 5. März 1953 starb, war das Volk fassungslos. Während seiner Herrschaft wurde Stalins Unsterblichkeit so sehr beschworen, dass sein Tod beinahe unvorstellbar schien.

Heute eröffnet die Biotechnologie Möglichkeiten, die einst nur Fantasie waren: Stammzellen, Genmodifikationen, künstliche Organe. Sie könnten Millionen Menschenleben retten. Doch für Autokraten wird daraus ein Werkzeug, nicht ein Fortschritt für alle. Die Perversion liegt darin, dass wissenschaftlicher Fortschritt exklusiv dem Leben einiger weniger Mächtiger dient, statt der Allgemeinheit.

Russland – Anti-Aging für die Elite

Putins „New Health Preservation Technologies“-Fonds fördert seit 2024 Anti-Aging- und Organforschung. Labore in Moskau und Sankt Petersburg führen Studien zu Stammzelltherapien durch, die offiziell der Forschung dienen, inoffiziell aber nur der Elite zugänglich sind. Die Preise reichen von mehreren Hunderttausend bis zu mehreren Millionen Euro pro Therapie. Orthodoxe Stimmen kritisieren dies als Hybris. Denn während Russland insgesamt medizinisch im Rückstand bleibt – Spenderorgane, Fachkräfte, moderne Infrastruktur fehlen –, finden sich für die Elite Wege. Wissenschaft wird so zu einem Werkzeug politischer Macht: moralische Prinzipien verkümmern, und der Tod wird zur Hürde, die man zu umgehen versucht.

Historische Experimente fließen ein: In der frühen Sowjetunion der 1920er Jahre führte der Arzt und Philosoph Alexander Bogdanov Selbstversuche mit Bluttransfusionen durch, um seine Gesundheit zu verbessern. Auch Lenins Schwester Maria Uljanowa nahm daran teil und berichtete von kurzfristigen Verbesserungen, etwa ihres Sehvermögens.

China – Biotech-Supermacht mit Schattenseiten

China investiert Milliarden in Stammzellen, 3D-Organdruck und Transplantationszentren. Offiziell gibt es seit 2015 keine Organentnahmen von Hingerichteten mehr. Doch der China Tribunal Report 2019 dokumentiert: „Zwangsorganentnahmen an Gefangenen in China finden seit Jahren in erheblichem Umfang statt.“ Falun-Gong-Praktizierende, Uigur:innen und andere politische Gefangene gelten als besonders betroffen.

Die Zahl der Transplantationen übersteigt die offiziellen Spenderzahlen deutlich, was auf ein paralleles System hinweist. Wohlhabende „Kundschaft aus dem Ausland“ wird in bestimmten chinesischen Kliniken bevorzugt behandelt – offenbar dienen weiterhin lokale Gefangene als Spender. Die Professionalisierung der Zentren zeigt, dass medizinischer Fortschritt für Autokraten zu einem Mittel der Macht wird, nicht zum Nutzen der Menschen. Moralische Grenzen verschwimmen: Fortschritt rettet Leben – aber nur, wenn er nicht missbraucht wird.

Medizinischer Fortschritt und ethische Risiken

Transplantationen retten Leben – Herzen, Nieren, Lebern werden weltweit zehntausendfach verpflanzt. Probleme wie Abstoßung, lebenslange Immunsuppression oder Organknappheit bleiben bestehen. Zukunftstechnologien:

  • 3D-Bioprinting: Organe aus körpereigenen Zellen, noch im experimentellen Bereich
  • Xenotransplantation: Tierorgane für Menschen, erste klinische Tests geben Hoffnung
  • Künstliche Organe: Herzpumpen, Nierenersatzsysteme usw., die langfristig Überlebensraten verbessern

Für Autokraten zählt weniger die bzw. ihre Heilung als die Verlängerung der Macht. Ewigkeit wird zum politischen Programm, nicht zur medizinischen Option. Wissenschaft und Medizin können so leicht zu Werkzeugen der Macht werden: Fortschritt rettet Leben – oder wird zu einem exklusiven Privileg.

Globale Organspendesituation – Sterben im Wartesaal der Organvermittlung

Die Zahlen sprechen für sich – einige Beispiele:

  • Deutschland: Ende Dezember 2024 warteten über 8.584 Menschen auf ein Spenderorgan; im gesamten Jahr 2024 starben 653 Menschen auf der Warteliste (DIATRA 1-2025)
  • Eurotransplant: Ende Dezember 2024 warteten 13.571 Menschen auf ein Spenderorgan, 3.264 Menschen starben auf der Warteliste (DIATRA 1-2025)
  • USA: Im Dezember 2024 warteten 104.753 Menschen auf ein Spenderorgan; durchschnittlich starben jeden Tag 13 Menschen, die auf ein Spenderorgan warteten (Quelle: Unos)

Macht, Moral und ein kurzer Blick in eine dystopische Zukunft

Putin, Xi und Co. wollen den Tod besiegen, um ihre Macht zu sichern. Politisch bedeutet das ein Festhalten am Status quo: keine Erneuerung, kein Generationswechsel. Ewigkeit für Autokraten = ewige Systeme.

Satirisch zugespitzt könnte unsere Zukunft so aussehen: Wir schreiben das Jahr 2080. Putin besteht weitestgehend aus Ersatzteilen, Xi ist zur Hälfte Bioreaktor. Währenddessen stehen Menschen für die Organ-Lotterie Schlange: Dort wird entschieden, wer lebt, wer verliert, wer spendet. Luxuskliniken kümmern sich exklusiv um Regierende – künstliche Organe gibt es nur für die Elite. Das „niedere“ Volk dient als Rohstoffquelle. Künstliche Intelligenz plant Operationen, Wartelisten werden algorithmisch manipuliert, Menschen zu reinen Ressourcen degradiert. Alltag, Bürokratie, Hoffnungslosigkeit: Tod wird berechenbar, Überleben hängt von Geld und Status ab – nicht vom medizinischen Fortschritt selbst.

Der Traum von Unsterblichkeit ist weniger medizinischer Idealismus als Machterhalt. Die Medizin könnte Millionen retten – in den Händen der Mächtigen wird sie zum Instrument politischer Kontrolle. Ewigkeit für Autokraten ist ein grotesker, dystopischer und moralisch verwerflicher Entwurf. Gleichzeitig zeigt sich die Ungerechtigkeit: Während die Eliten ihre Körper erneuert, sterben Tausende auf Wartelisten. Fortschritt kann Leben retten – doch ohne gerechte Verteilung wird er zu einem Machtinstrument.