DIATRA-Redaktion
4. Sept. 2025 · 7 Min. Lesezeit
Wer sich über Organspende informiert, stößt schnell auf widersprüchliche Aussagen. Neben seriösen Informationen, etwa von Fachgesellschaften und dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), kursieren auch gezielt gestreute Falschinformationen – oft von Gruppierungen, die Zweifel am medizinischen Konsens säen wollen.
Das ist gefährlich. Denn während tausende Menschen in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ warten, tragen Desinformationen zu Misstrauen, Angst und Unsicherheit bei. Seriöse, geprüfte Fakten geraten dabei ins Hintertreffen. Dieser Artikel räumt mit den häufigsten Mythen auf – von harmlosen Missverständnissen bis hin zu den manipulativen Behauptungen (z. B. von der „KAO - Kritische Aufklärung über Organtransplantation“).
Falsch. Es gibt keine obere Altersgrenze. Selbst hochbetagte Menschen können Organe spenden. Entscheidend ist die Funktionsfähigkeit des Organs, nicht das Geburtsdatum. Die älteste Organspenderin für eine Leber war 98 Jahre alt.
Falsch. Ärzt:innen in Intensivstationen haben einen einzigen Auftrag: das Leben ihrer Patient:innen zu retten. Die Frage nach Organspende stellt sich erst, wenn sämtliche Therapieversuche erfolglos waren und der Hirntod entweder unmittelbar bevorsteht, vermutlich bereits eingetreten oder festgestellt wurde.
Die Hirntodfeststellung ist streng geregelt:
Quelle: Bundesärztekammer - Irreversibler Hirnfunktionsausfall (IHA)
Falsch. Ob ein Organ medizinisch für eine Transplantation geeignet ist, entscheidet sich erst nach dem Tod, der nach der Richtlinie der Bundesärztekammer festgestellt wurde. Viele Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes oder sogar früheren Krebserkrankungen können Organe spenden. Absolute Ausschlussgründe sind selten (z.B. aktive Krebserkrankung).
Quelle: BIÖG - Welche Vorerkrankungen schließen eine Organspende aus?
Falsch. Ein ausgefüllter Organspendeausweis oder die Eintragung der Entscheidung ins digitale Organspende-Register reichen völlig aus. Beides ist kostenlos und unkompliziert. Die Entscheidung kann jederzeit geändert werden. Eine Entscheidung kann Ja, Nein oder „im Zweifel die Angehörigen entscheiden lassen“ lauten – alles wird akzeptiert.
Quelle: BIÖG – Organspende-Register: So funktioniert's
Falsch. Organspende ist in Deutschland gesetzlich strikt anonym geregelt. Weder Angehörige der Spender:innen noch Empfänger:innen erfahren persönliche Daten wie Name, Alter oder Herkunft.
Was es aber gibt: die Möglichkeit eines anonymen Dankesbriefes. Empfänger:innen können der Familie der Spender:in über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) schreiben – ohne Namen oder persönliche Details. Diese Briefe sind für viele Angehörige ein tröstlicher Beweis, dass die Spende tatsächlich Leben gerettet hat.
Quelle: DSO - Dankesbriefe
Falsch. Bei der Organspende spielt die Geschlechtsidentität keine Rolle.
Falsch. Auch hier gilt: Nur medizinische Faktoren zählen. Niemand wird wegen seiner Geschlechtsidentität von einer Transplantation ausgeschlossen.
Falsch. Der Hirntod ist der vollständige, unumkehrbare Ausfall aller Hirnfunktionen. Ohne Gehirn gibt es kein Bewusstsein, kein Atmen, kein Schmerzempfinden. Mit der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (irreversibler Hirnfunktionsausfall) ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt.
Quellen: Deutscher Bundestag – Antwort der Bundesregierung zur Hirntod-Definition vom 25.03.2025 (PDF), Bundesärztekammer - BÄK veröffentlicht Fünfte Fortschreibung der Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls vom 05.09.2022
Falsch. Schmerzempfinden setzt ein funktionierendes Gehirn voraus. Bei vorliegendem Hirntod gibt es kein Bewusstsein mehr. Bewegungen sind reine Rückenmarksreflexe – vergleichbar mit Zucken im Schlaf, nicht mit Schmerz.
Quelle: BIÖG - Empfinden Organspenderinnen oder -spender Schmerzen bei der Organspende?
Falsch. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Ohne dokumentierte Zustimmung oder Angehörigenzustimmung (falls die verstorbene Person sich selber nicht schriftlich und/oder mündlich geäußert hat) ist keine Entnahme erlaubt. Es gibt weder „Zwangs-Organspende“ noch „automatische Entnahme“.
Falsch. Organhandel ist in Deutschland streng verboten und steht unter Strafe. Postmortal gespendete Organe werden ausschließlich über Eurotransplant vermittelt, eine gemeinnützige Organisation. Die Zuteilung erfolgt nach medizinischen Kriterien: Dringlichkeit, Erfolgsaussicht, Wartezeit. Kein Geld, keine Bevorzugung.
Quellen: Erklärung von Istanbul zu Organhandel und Transplantationstourismus (PDF), §17 TPG - Verbot des Organ- und Gewebehandels
Falsch. Angehörige werden immer einbezogen, wenn keine dokumentierte Entscheidung vorliegt. Sie werden in diesem Fall nach dem mündlichen oder mutmaßlichen Willen des/der Verstorbenen befragt. Ist beides nicht bekannt, können sie nach eigenen Wertvorstellungen entscheiden.
Quelle: § 4 TPG - Entnahme mit Zustimmung anderer Personen
Falsch. Organspenden erfolgen nur in sogenannten Entnahmekrankenhäusern – dies sind Krankenhäuser, die Organentnahmen ermöglichen können. Alle Entnahmen unterliegen strengen rechtlichen Standards und werden dokumentiert. Während des gesamten Organentnahmeprozesses wird jederzeit würde- und respektvoll mit dem Körper der verstorbenen Person umgegangen. Der Körper wird nach der Entnahme sorgfältig versorgt, die Angehörigen können sich verabschieden, eine würdevolle Bestattung ist natürlich möglich.
Falsch. Neben Herz, Leber und Nieren können auch Lunge, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm sowie verschiedene Gewebe (z.B. Hornhaut, Haut, Knochen, Herzklappen) gespendet werden. Eine Organspende kann also bis zu sechs Leben retten und zusätzlich die Lebensqualität vieler Gewebeempfänger:innen verbessern.
Quelle: BIÖG – Welche Organe können gespendet werden?
Falsch. Intensivmedizinische Maßnahmen dienen zunächst der Rettung eines Menschen. Wenn klar ist, dass keine Heilung möglich ist, werden sie beendet. Nur wenn der Hirntod nach der Richtlinie der Bundeärztekammer festgestellt wurde und eine Zustimmung zur Organentnahme vorliegt, werden intensivmedizinische Maßnahmen bis zur Organentnahme fortgeführt.
Falsch. Keine der großen Religionen in Deutschland verbietet Organspende. Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus stehen ihr überwiegend positiv oder neutral gegenüber – oft als Akt der Nächstenliebe oder Barmherzigkeit.
Quellen: BIÖG – Organspende und Religion, Organspende-Wiki
Falsch. Das Register erfüllt die höchsten Datenschutzstandards. Nur autorisierte Ärzt:innen und Transplantationsbeauftragte dürfen Einsicht nehmen, wenn der Hirntod vermutlich bald eintritt, vermutlich bereits eingetreten oder festgestellt wurde. Angehörige oder Behörden erhalten keine Einsicht in das Register.
Quellen: BIÖG - FAQ zum Organspende-Register, § 2a TPG - Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende; Verordnungsermächtigung
Falsch. Jede einzelne Spende zählt. 2024 wurden in Deutschland knapp 3.000 Organe transplantiert – jedes rettete oder verbesserte ein Leben. Auch wenn es zu wenige Spender: innen gibt, macht jede einzelne Zustimmung zur Organspende den Unterschied.
Quelle: DSO – Jahresbericht 2024 (PDF)
Falsch. Eine dokumentierte Entscheidung ist enorm wichtig. Sie entlastet Angehörige in einer emotionalen Ausnahmesituation, schafft Klarheit und sichert, dass der eigene Wille nach dem Tod umgesetzt wird. Laut DSO-Jahresbericht 2024 hatten 34,2 % der potenziellen Spender: innen eine dokumentierte Entscheidung getroffen. Davon stimmten 69 % zu.
Quelle: DSO – Jahresbericht 2024 (PDF)
Wer bewusst Falschinformationen zur Organspende verbreitet, sorgt dafür, dass Menschen in ihrer Entscheidungsfindung behindert werden und unter Umständen eine Entscheidung treffen, die bei Kenntnis der realen Fakten eine andere gewesen wäre. Denn Unsicherheit und Angst führen dazu, dass weniger Menschen ihre Entscheidung dokumentieren.
Die Fakten sind klar: Organspende ist streng reguliert, transparent, anonym und rettet jedes Jahr tausende Leben. Die beste Antwort auf Desinformation ist eine eigene, fundierte Entscheidung – dokumentiert im Organspendeausweis oder im Organspende-Register.
Unser Dank gilt dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) und der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) für ihre Revision dieses Beitrags.