Wer sich über Organspende informiert, stößt schnell auf widersprüchliche Aussagen. Neben seriösen Informationen, etwa von Fachgesellschaften und dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG), kursieren auch gezielt gestreute Falschinformationen – oft von Gruppierungen, die Zweifel am medizinischen Konsens säen wollen.
Das ist gefährlich. Denn während tausende Menschen in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ warten, tragen Desinformationen zu Misstrauen, Angst und Unsicherheit bei. Seriöse, geprüfte Fakten geraten dabei ins Hintertreffen. Dieser Artikel räumt mit den häufigsten Mythen auf – von harmlosen Missverständnissen bis hin zu den manipulativen Behauptungen (z. B. von der „KAO - Kritische Aufklärung über Organtransplantation“).
Hier sind einige gängige Mythen – und die Fakten dazu.
„Ich bin zu alt für eine Organspende“
Falsch. Es gibt keine obere Altersgrenze. Selbst hochbetagte Menschen können Organe spenden. Entscheidend ist die Funktionsfähigkeit des Organs, nicht das Geburtsdatum. Die älteste Organspenderin für eine Leber war 98 Jahre alt.
„Ärzt:innen retten mein Leben nicht, wenn ich eine Entscheidung für eine Organspende nach meinem Tod getroffen habe“
Falsch. Ärzt:innen in Intensivstationen haben einen einzigen Auftrag: das Leben ihrer Patient:innen zu retten. Die Frage nach Organspende stellt sich erst, wenn sämtliche Therapieversuche erfolglos waren und der Hirntod entweder unmittelbar bevorsteht, vermutlich bereits eingetreten oder festgestellt wurde.
Die Hirntodfeststellung ist streng geregelt:
- Mindestens zwei besonders qualifizierte Fachärzt:innen, die nichts mit der Entnahme und der Transplantation zu tun haben, führen unabhängig voneinander die Hirntod-Diagnostik nach einem von der Bundesärztekammer festgelegten mehrstufigen Untersuchungsschema durch.
- Es müssen alle Hirnfunktionen (Großhirn, Kleinhirn, Hirnstamm) irreversibel ausgefallen sein.
- Nachweis durch standardisierte klinische Tests (z.B. Pupillenreflex, Atemstillstand) und ggf. technische Verfahren (EEG, Durchblutungsmessung).
- Erst wenn beide Ärzt:innen unabhängig voneinander den eingetretenen Hirntod feststellen, gilt die Patientin/ der Patient als verstorben.
„Vorerkrankungen schließen eine Spende aus“
Falsch. Ob ein Organ medizinisch für eine Transplantation geeignet ist, entscheidet sich erst nach dem Tod, der nach der Richtlinie der Bundesärztekammer festgestellt wurde. Viele Menschen mit Bluthochdruck, Diabetes oder sogar früheren Krebserkrankungen können Organe spenden. Absolute Ausschlussgründe sind selten (z.B. aktive Krebserkrankung).
„Die Dokumentation der Entscheidung zur Organspende ist kompliziert“
Falsch. Ein ausgefüllter Organspendeausweis oder die Eintragung der Entscheidung ins digitale Organspende-Register reichen völlig aus. Beides ist kostenlos und unkompliziert. Die Entscheidung kann jederzeit geändert werden. Eine Entscheidung kann Ja, Nein oder „im Zweifel die Angehörigen entscheiden lassen“ lauten – alles wird akzeptiert.
„Organspende ist nicht anonym“
Falsch. Organspende ist in Deutschland gesetzlich strikt anonym geregelt. Weder Angehörige der Spender:innen noch Empfänger:innen erfahren persönliche Daten wie Name, Alter oder Herkunft.
Was es aber gibt: die Möglichkeit eines anonymen Dankesbriefes. Empfänger:innen können der Familie der Spender:in über die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) schreiben – ohne Namen oder persönliche Details. Diese Briefe sind für viele Angehörige ein tröstlicher Beweis, dass die Spende tatsächlich Leben gerettet hat.
„Transgender-Personen können keine Organe spenden“
Falsch. Bei der Organspende spielt die Geschlechtsidentität keine Rolle.
„Transgender-Personen können keine Organe empfangen“
Falsch. Auch hier gilt: Nur medizinische Faktoren zählen. Niemand wird wegen seiner Geschlechtsidentität von einer Transplantation ausgeschlossen.
„Hirntod ist kein wirklicher Tod“
Falsch. Der Hirntod ist der vollständige, unumkehrbare Ausfall aller Hirnfunktionen. Ohne Gehirn gibt es kein Bewusstsein, kein Atmen, kein Schmerzempfinden. Mit der Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms (irreversibler Hirnfunktionsausfall) ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt.
„Organspender:innen könnten Schmerzen empfinden“
Falsch. Schmerzempfinden setzt ein funktionierendes Gehirn voraus. Bei vorliegendem Hirntod gibt es kein Bewusstsein mehr. Bewegungen sind reine Rückenmarksreflexe – vergleichbar mit Zucken im Schlaf, nicht mit Schmerz.
„Organspende ist unfreiwillig oder erzwungen“
Falsch. In Deutschland gilt die Entscheidungslösung. Ohne dokumentierte Zustimmung oder Angehörigenzustimmung (falls die verstorbene Person sich selber nicht schriftlich und/oder mündlich geäußert hat) ist keine Entnahme erlaubt. Es gibt weder „Zwangs-Organspende“ noch „automatische Entnahme“.
„Organe werden für Profit verkauft“
Falsch. Organhandel ist in Deutschland streng verboten und steht unter Strafe. Postmortal gespendete Organe werden ausschließlich über Eurotransplant vermittelt, eine gemeinnützige Organisation. Die Zuteilung erfolgt nach medizinischen Kriterien: Dringlichkeit, Erfolgsaussicht, Wartezeit. Kein Geld, keine Bevorzugung.
„Angehörige haben nichts mehr zu sagen“
Falsch. Angehörige werden immer einbezogen, wenn keine dokumentierte Entscheidung vorliegt. Sie werden in diesem Fall nach dem mündlichen oder mutmaßlichen Willen des/der Verstorbenen befragt. Ist beides nicht bekannt, können sie nach eigenen Wertvorstellungen entscheiden.
„Man wird für Organspende ‚ausgeschlachtet‘“
Falsch. Organspenden erfolgen nur in sogenannten Entnahmekrankenhäusern – dies sind Krankenhäuser, die Organentnahmen ermöglichen können. Alle Entnahmen unterliegen strengen rechtlichen Standards und werden dokumentiert. Während des gesamten Organentnahmeprozesses wird jederzeit würde- und respektvoll mit dem Körper der verstorbenen Person umgegangen. Der Körper wird nach der Entnahme sorgfältig versorgt, die Angehörigen können sich verabschieden, eine würdevolle Bestattung ist natürlich möglich.
„Nur Herz, Leber und Nieren können gespendet werden“
Falsch. Neben Herz, Leber und Nieren können auch Lunge, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm sowie verschiedene Gewebe (z.B. Hornhaut, Haut, Knochen, Herzklappen) gespendet werden. Eine Organspende kann also bis zu sechs Leben retten und zusätzlich die Lebensqualität vieler Gewebeempfänger:innen verbessern.
„Organspende verlängert nur künstlich das Sterben“
Falsch. Intensivmedizinische Maßnahmen dienen zunächst der Rettung eines Menschen. Wenn klar ist, dass keine Heilung möglich ist, werden sie beendet. Nur wenn der Hirntod nach der Richtlinie der Bundeärztekammer festgestellt wurde und eine Zustimmung zur Organentnahme vorliegt, werden intensivmedizinische Maßnahmen bis zur Organentnahme fortgeführt.
„Religionen verbieten Organspende“
Falsch. Keine der großen Religionen in Deutschland verbietet Organspende. Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus stehen ihr überwiegend positiv oder neutral gegenüber – oft als Akt der Nächstenliebe oder Barmherzigkeit.
„Meine Daten sind im Organspende-Register nicht sicher“
Falsch. Das Register erfüllt die höchsten Datenschutzstandards. Nur autorisierte Ärzt:innen und Transplantationsbeauftragte dürfen Einsicht nehmen, wenn der Hirntod vermutlich bald eintritt, vermutlich bereits eingetreten oder festgestellt wurde. Angehörige oder Behörden erhalten keine Einsicht in das Register.
„Organspende lohnt sich nicht – es gibt sowieso zu wenige Spender:innen“
Falsch. Jede einzelne Spende zählt. 2024 wurden in Deutschland knapp 3.000 Organe transplantiert – jedes rettete oder verbesserte ein Leben. Auch wenn es zu wenige Spender: innen gibt, macht jede einzelne Zustimmung zur Organspende den Unterschied.
„Es bringt nichts, meine Entscheidung zu dokumentieren – Angehörige entscheiden sowieso“
Falsch. Eine dokumentierte Entscheidung ist enorm wichtig. Sie entlastet Angehörige in einer emotionalen Ausnahmesituation, schafft Klarheit und sichert, dass der eigene Wille nach dem Tod umgesetzt wird. Laut DSO-Jahresbericht 2024 hatten 34,2 % der potenziellen Spender: innen eine dokumentierte Entscheidung getroffen. Davon stimmten 69 % zu.
Fazit
Wer bewusst Falschinformationen zur Organspende verbreitet, sorgt dafür, dass Menschen in ihrer Entscheidungsfindung behindert werden und unter Umständen eine Entscheidung treffen, die bei Kenntnis der realen Fakten eine andere gewesen wäre. Denn Unsicherheit und Angst führen dazu, dass weniger Menschen ihre Entscheidung dokumentieren.
Die Fakten sind klar: Organspende ist streng reguliert, transparent, anonym und rettet jedes Jahr tausende Leben. Die beste Antwort auf Desinformation ist eine eigene, fundierte Entscheidung – dokumentiert im Organspendeausweis oder im Organspende-Register.
Hinweis