Editorial
Organspende

Transplantation in Deutschland im europäischen Kontext

Editorial zur DIATRA-Ausgabe 4-2023

Raymond Vanholder

1. Dez. 2023 · 4 Min. Lesezeit

DIATRA 4-2023

Die European Kidney Health Alliance (EKHA - https://ekha.eu), eine in Brüssel ansässige Nichtregierungsorganisation, die sich für die Belange von Nierenpatient:innen und der nephrologischen Gemeinschaft in der Europäischen Union einsetzt, will die Transplantation in ganz Europa fördern. Als ein Ergebnis der Arbeit dieses Netzwerks aus mehreren Interessensgruppen wurde Anfang 2021 eine gemeinsame Erklärung zur Erleichterung der Organspende und -transplantation veröffentlicht. Zu dieser Zeit gab es eine hervorragende Dynamik, um einen zweiten EU-Aktionsplan für Organspende und -transplantation vorzuschlagen, als Folgemaßnahme des erfolgreichen ersten Aktionsplans, der 2015 auslief. Mit Unterstützung der kroatischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2021 war im März in Zagreb ein hochrangiges Treffen zum Thema Organspende und -transplantation geplant, das jedoch wegen des Ausbruchs von COVID-19 abgesagt wurde. In der Folge wurde die Diskussion über einen zweiten Aktionsplan auf Eis gelegt, da die Pandemie dringendere Gesundheitsbedürfnisse zur Folge hatte.

Transplantation wird auch eines der zentralen Themen sein, für das die EKHA im Vorfeld der Europawahlen im Juni 2024 und der Ernennung der nächsten Kommission, die die EU im Zeitraum 2024-2029 leiten wird, mehr Aufmerksamkeit fordert (s. Offener Brief der EKHA auf Seite 30 in DIATRA 4-2023 oder auch hier).

Obwohl es für Außenstehende heikel ist, die Situation in einem anderen Land als dem eigenen zu kommentieren, können wir nicht leugnen, dass die derzeitige niedrige Transplantationsrate in Deutschland Anlass zur Sorge gibt. Die Transplantation hat gegenüber der Alternative, der Dialyse, viele Vorteile, darunter ein besseres Überleben und eine höhere Lebensqualität für die Betroffenen sowie geringere Kosten und Umweltbelastungen für die Gesellschaft. Möglichst vielen Menschen durch eine Transplantation zu helfen, sollte ein vorrangiges Ziel eines jeden Gesundheitssystems sein. Deutschland liegt jedoch mit der Zahl der Transplantationen, bezogen auf die Einwohnerzahl, weit hinter den meisten westeuropäischen Ländern zurück und belegt unter den 27 EU-Ländern nur den 20. Platz.

Die historische Entwicklung der Transplantation in Deutschland verlief unglücklich: Eine geringe Zahl an Transplantationen, gleichzeitig hohe Dialysekosten und eine Reduzierung der Kostenerstattung für die Dialyse. Dass sich vor diesem Hintergrund eine Erhöhung der Transplantationsrate ergeben könnte, wurde nicht erreicht. Das Fehlen eines umfassenden Registers für Nierenersatztherapien und ein Skandal im Zusammenhang mit betrügerischer Organvergabe haben ebenso wenig dazu beigetragen wie eine Abstimmung im Deutschen Bundestag gegen einen Gesetzentwurf für eine Widerspruchsregelung (Opt-out-Lösung) bei der Organspende, die offenbar mehr von ungerechtfertigten ethischen Ängsten als von der Sorge um das Leben und die Lebensqualität nierenkranker Menschen bestimmt war.

Es ist an der Zeit, dass die deutschen Nierenpatient:innen und die verschiedenen Nierenpatientenorganisationen ihre Kräfte bündeln, um sich Gehör zu verschaffen und von den politischen Entscheidungsträgern Maßnahmen zu fordern, die eine Organtransplantation für alle berechtigten Patient:innen ohne endlose Wartezeiten ermöglichen. Sie sollten zusammenarbeiten, um die Politik auf das Ausmaß ihrer Belastung und die Dringlichkeit ihrer Bedürfnisse aufmerksam zu machen, und Mediziner:innen (sowohl Fachleute, die sich mit Organen befassen und der Transplantation nahestehen, als auch Transplantationsspezialist:innen) sollten alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie zu unterstützen. Von zentraler Bedeutung sind der Aufbau eines umfassenden Spende- und Transplantationsprogramms nach dem Vorbild erfolgreicher europäischer Länder wie Spanien oder Kroatien, die strukturelle Umstrukturierung der Rekrutierung verstorbener Spender:innen und die Aufklärung der Öffentlichkeit und der medizinischen Berufsgruppen, um eine Mentalität und ein Umfeld zu schaffen, die Organspenden und Transplantationen begünstigen. Außerdem sollte das Bewusstsein für die Vorteile einer Transplantation in der Gemeinschaft der Nierenpatient:innen gestärkt werden, um die Patient:innen zu ermutigen, mit ihren behandelnden Ärzt:innen in Kontakt zu treten und eine Transplantation zu beantragen. Und schließlich sollten Transplantationsoptionen, die nicht auf der Spende Verstorbener beruhen, wie die Lebendspende und die erweiterte Spende (nach Kreislaufstillstand), gefördert und deren Organisation optimiert werden. Nur durch kontinuierliches Hämmern auf dieselben Nägel wird es möglich sein, den gegenwärtigen Transplantationsstillstand in Deutschland zu überwinden.

Raymond Vanholder, MD, PhD
Präsident der European Kidney Health Alliance (EKHA), Brüssel, Belgien
Nephrology Section, Department of Internal Medicine and Pediatrics, University Hospital Gent, Belgien