Zum Referentenentwurf zur Reform der Lebendorganspende
Dennis M Stamm
17. Juli 2025 · 3 Min. Lesezeit
Mit dem aktuellen Referentenentwurf zur Reform der Lebendorganspende legt das Bundesgesundheitsministerium eine umfassende Reform der Lebendorganspende vor. Vorgesehen ist nicht nur die Einführung eines Programms zur Überkreuzlebendnierenspende, sondern auch eine grundsätzliche Lockerung der bisherigen gesetzlichen Vorgaben: Der Kreis möglicher Spender:innen soll erweitert werden, das bisherige Subsidiaritätsprinzip – wonach postmortale Spenden vorrangig sind – soll entfallen, und neue psychosoziale Schutzmaßnahmen für Spender:innen sollen eingeführt werden.
Ziel der Reform ist es, die Zahl der Nierentransplantationen zu erhöhen – und damit die wachsende Lücke zwischen Angebot und Bedarf zu verkleinern. Ende 2024 warteten rund 6.400 Menschen in Deutschland auf eine Spenderniere, während 2024 lediglich 1.442 Nierentransplantationen durchgeführt wurden. Nur 632 davon stammten aus einer Lebendspende. Die Initiative greift damit ein reales Versorgungsproblem auf.
Lebendspenden bieten medizinische Vorteile: Die Ischämiezeit ist deutlich kürzer, der Zeitpunkt der Operation planbar, die Spenderniere häufig in besserem Zustand, die Gewebeverträglichkeit oft besser – besonders bei verwandten oder persönlich nahestehenden Personen. Auch sogenannte präemptive Transplantationen, also vor Beginn der Dialyse, werden durch die geplanten Änderungen künftig leichter möglich.
Trotzdem: Die Lebendspende – auch in ihrer erweiterten, überkreuzorganisierten Form – kann den Organmangel nicht systematisch lösen. Sie bleibt ethisch und praktisch begrenzt. Selbst bei maximalem Ausbau wird sie nur einen Bruchteil der Wartenden erreichen. Wer sie gesetzgeberisch zur Hauptstrategie erhebt, ignoriert strukturelle Ursachen.
Zudem rückt der Entwurf auffällig stark wirtschaftliche Überlegungen in den Vordergrund: So wird detailliert dargelegt, dass Lebendnierentransplantationen langfristig kostengünstiger seien als langjährige Dialysebehandlungen. Allein durch 100 zusätzliche Nierenlebendspenden könnten demnach bereits Einsparungen von über 4,6 Millionen Euro erzielt werden. Eine bemerkenswert präzise Rechnung – in einem gesundheitspolitischen Gesetzesentwurf.
Was hingegen weiterhin fehlt, ist eine entschlossene Reform der postmortalen Organspende. Viele europäische Länder wie Spanien, die Niederlande oder die Schweiz zeigen, wie es anders geht: Dort haben entweder die Einführung einer Widerspruchslösung oder gezielte Verbesserungen der Klinikstrukturen zu deutlich höheren Spenderzahlen geführt. Deutschland dagegen hält trotz breiter gesellschaftlicher Zustimmung am Zustimmungsmodell fest – und verschenkt damit wertvolles Potenzial.
Der Referentenentwurf enthält ohne Frage wichtige Verbesserungen: für Spender:innen, Empfänger:innen, Transplantationszentren. Aber er bleibt eine medizinisch begrenzte Antwort auf ein systemisches Problem – und transportiert zugleich die politische Botschaft, dass Effizienz und Kostenersparnis über strukturelle Reformen gestellt werden. Wer wirklich helfen will, muss das Gesamtsystem der Organspende neu denken – nicht nur die Bedingungen der freiwilligen Lebendspende.
Zwar führt jede erfolgreiche Nierentransplantation zu einer deutlichen Entlastung für die betroffene Person und reduziert langfristig Kosten für die Krankenkassen. Doch Prognosen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) zeigen klar: Die Nachfrage nach Dialyseleistungen wird bis 2030 weiter deutlich steigen – um bis zu 25 Prozent. Gleichzeitig droht ein eklatanter Mangel an Nephrolog:innen. Vor diesem Hintergrund erscheint es verkürzt, wenn der Gesetzentwurf die Lebendspende als potenziellen Hebel zur Systementlastung darstellt. Die Probleme sind viel tiefergehender.